Akte Mosel
ersten Karatetraining so die Hucke voll, daß sie sich nicht mehr bei Degenhardt blicken lassen. Das Problem ist, den Leuten klar zu machen, ein Jahr lang Mitgliedsbeitrag zu zahlen, ohne etwas dafür zu bekommen außer ein paar Beulen und blauen Flecken. Für ganz Verstockte ist dann eben meine Kanzlei zuständig.«
»Immer noch besser, als von Degenhardts Schlägern zur Kasse gebeten zu werden.«
»Das ist vorbei, die kleben jetzt die Stadt mit seinen Plakaten zu. Das soll aber nicht heißen, daß säumige Zahler nun besser dran sind. Bei mir müssen sie auch bluten. Wenn auch mehr im übertragenen Sinn. Denn dann kommen zum Jahresbeitrag noch meine Gebühren und die Gerichtskosten hinzu.«
Doris trinkt und stellt das halb volle Cognacglas auf den Tisch: »Ich muß gehen, schönen Abend noch.«
Günther läßt sie ohne größere Gegenwehr ziehen.
Doris geht über den Kornmarkt zum Geldautomaten der Stadtsparkasse in der Brotstraße. Bei der Funktion Auszahlung wählt sie Eintausend Mark. Ganz schön frech, liegt wohl am Cognac. Auf dem Display erscheint Verfügbarer Betrag zur Zeit 0.00. Bei sechshundert und vierhundert wiederholt sich die gleiche Anzeige.
Das war’s, Limit ausgeschöpft, die Kasse hat den Hahn abgedreht … pleite. Doris zieht die Karte aus dem Automat. In ein paar Tagen wird die Miete überfällig sein, dann kommt die Kündigung … der Anfang vom Ende naht. Nur nicht heulen, lieber wütend sein. Wenn sie jetzt nach Hause geht … dann wird sie unweigerlich heulen. Als sie sich zum Gehen wendet, erblickt sie zwischen den Leuten einen Mann in Anzug und mit Tasche unter dem angewinkelten Arm auf sie zukommen. Es ist Räumer, er hat wohl genug abgesahnt.
Sie dreht sich um und eilt zur Konstantinstraße in Richtung Basilika. Am Eingang zum Parkhaus zögert sie kurz und schlüpft dann durch die Stahltür. Bald wird geschlossen. Sie beobachtet durch den Schlitz der fingerbreit geöffneten Tür, wie Räumer durch die C & A -Passage in ihre Richtung kommt. Jetzt hole ich mir das, was du mir schuldest! Doris drückt die Tür zu.
Als sie die Treppen zum zweiten Untergeschoß runterhastet, greift sie in der Tasche nach dem Pfefferdöschen. Dauermieter steht auf der Tür. Im Parkdeck stehen nur noch wenige Autos, Räumers blank geputzter Jaguar ist nur wenige Meter entfernt, ihr Fiat steht am anderen Ende und ist von hier durch das Säulengewirr nicht zu sehen. Keine Menschenseele ist da. Die meisten Mieter sind gleich nach Büro- und Ladenschluß weg. Doris hört in der Ferne das Quietschen von Autoreifen, und dann nur noch das Pochen ihres Herzschlages. Oben knallt die Stahltür. Doris weicht hinter einen Betonpfeiler direkt neben der Tür zurück. Ihr Herzschlag klingt wie Donnerhall. Die Hände sind schweißnaß, als sie den Behälter aufschraubt. Die Tür wird geöffnet, Doris quetscht sich eng an den Pfeiler. Ein blank geputzter Schuh und ein Aktenkoffer kommen zum Vorschein. Doris schleudert die Dose nach vorn und springt hinter der Pfefferwolke her aus ihrem Versteck. Der Mann gibt ein röchelndes Geräusch von sich und schlägt die Hände vor das Gesicht. Zu spät, als er zum Husten ansetzt, geht das Röcheln in ein tiefes, keuchendes Wehgeheul über. Doris hat ihm ein Knie in die Weichteile gerammt. Sie greift die Tasche, die neben dem Opfer am Boden liegt und bemerkt erst jetzt die grauen Haare. Es ist nicht Räumer!
Sie hastet zu ihrem Wagen. Tränen laufen ihr über das Gesicht; sie preßt die Augen mehrmals fest zusammen und reibt mit schweißnassem Unterarm darüber. Hinter sich hört sie krächzendes Husten und Würgen. Sie streift den Jutebeutel mühsam über die Aktentasche. Der Autoschlüssel läßt sich nicht drehen. Nach links oder nach rechts? Sie probiert es in beide Richtungen. Wenn jetzt der Schlüssel abbricht? Sie zieht den Schlüssel wieder heraus, es ist der falsche. Beim nächsten Versuch geht die Tür des Fiat auf. Sie sinkt auf den Sitz. Ihr Körper zittert und kribbelt. Tausend Ameisen sind unter ihrer Haut. In den Ohren rauscht es, als würden Sturzbäche das Parkdeck fluten. Ihr Atem ist nur noch ein Röcheln. Mit letzter Kraft versucht sie, mit den Händen eine Muschel zu bilden und hält sie vor den Mund. Sie kämpft gegen den unbändigen Wunsch an, sich hinabgleiten zu lassen in die befreiende Ohnmacht, in die Erlösung aus diesem Albtraum. Festhalten, einatmen, ausatmen, weiter die Hände vor dem Mund verschränken, einatmen, ausatmen. Ganz ruhig – kurz
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