Akte X
Vergangenheit... derlei Dinge hatte er nun hinter sich gelassen. Er war ein mächtiger Mann geworden.
Er hielt inne, um seine großartige Sammlung historischer Kostbarkeiten zu inspizieren, präkolumbische Objekte, die der Stolz eines jeden Museums gewesen wären. Doch diese Stücke würden niemals in irgendwelchen staubigen Schauvitrinen lieblos geführter öffentlicher Institutionen stehen, denn sie gehörten ihm und nur ihm allein. Eingehend musterte er die fein bearbeiteten, durchscheinend grünen Jadeskulpturen, die sich windenden, mythologischen Schlangengestalten der Begleiter Kukulkans, eine kleine Steinfigur des großen Gottes der Weisheit selbst. Salida sammelte Gefäße und Skulpturen von allen mittelamerikanischen Völkern, den Tolteken, den Olmeken wie auch den Maya und Azteken. Bewußt machte er sich die Mühe, die gravierte Plakette an jedem der wertvollen Stücke zu lesen – er wollte sicher sein, daß er sich an jeden Namen und jede Einzelheit genau erinnerte. Es durfte einfach nicht passieren, daß er sich bei einer gepflegten Konversation blamierte, weil er seine eigene Sammlung nicht kannte...
Schließlich ging Salida wie ein kleiner Junge, der sich im Morgengrauen des Weihnachtstages an den geschmückten Baum heranschleicht, zu seinem neuesten Prachtstück hinüber, dem erstaunlichen kristallischen Artefakt, das ihm Fernando Victorio Aguilar aus den Ruinen von Xitaclan mitgebracht hatte. Es war ihm klar, daß er diesen Schatz in eine schützende Glasvitrine stellen mußte, um es vorzeigen zu können und doch gleichzeitig die Sicherheit zu haben, daß es kein Besucher oder Angestellter durch eine Berührung entweihen konnte. Es mußte von unermeßlichem Wert sein.
Salida stellte sein Weinglas neben dem schimmernden, transparenten Kasten ab, streckte beide Hände aus und berührte die glatte, kalte Oberfläche der Seiten mit seinen sorgfältig manikürten Fingern. Wegen des ganzen Ärgers mit Pieter Grobe hatte er in den letzten zwei Tagen keine Zeit gefunden, seinen neuen Schatz zu bewundern – doch jetzt würde er sich belohnen. Nachdem Grobe angemessen bestraft worden war und Salidas Unternehmen ansonsten störungsfrei lief, konnte er nun mit kindlichem Entzücken das seltsame Maya-Kunstwerk betrachten. Seine Finger glitten sanft über einige der fein ziselierten Glyphen, die in die diamantharte Oberfläche geschnitten waren. Er tippte an eines der beweglichen Quadrate – es ließ sich verschieben, als glitte es auf einem Ölfilm dahin.
Das Relikt begann zu summen.
Überrascht trat Salida zurück und spürte, wie die Kälte tief in seinen Fingerspitzen prickelte. Doch dann beugte er sich wieder darüber, preßte seine Hände dagegen und spürte die schwachen Vibrationen im Inneren des geheimnisvollen Quaders. Das Beben schien stärker zu werden und immer mehr anzuschwellen.
Salida lachte voller Staunen. In seinem Hinterkopf, irgendwo jenseits der Hörschwelle, spürte er einen hohen Ton, ein pulsierendes Geräusch, das sich ihm entzog, sobald er sich darauf zu konzentrieren versuchte.
Draußen, in den eingezäunten Zwingern, stimmten seine wertvollen Dobermänner beinah gleichzeitig ein lautes Geheul an. Die Pfauen auf dem Hof krächzten und schrien ihren kehligen Warnlaut hinaus.
Salida eilte zum Balkon und blickte hinunter. Einer der Wächter hatte den Quecksilberdampfscheinwerfer eingeschaltet und den Hof in grellweißes Licht getaucht. Zwei weitere Wachleute schritten mit angelegten Gewehren den Schatten entgegen. Salida ließ seinen Blick suchend über das eingefriedete Gebiet wandern und erwartete, den vorbeihuschenden Schatten eines Jaguars oder Ozelots zu sehen, irgendeines nächtlichen Räubers, der es gewagt hatte, die Mauer zu übersteigen, um einen Pfau zu reißen. Die Hunde lärmten weiter – doch Salida konnte nichts Auffälliges bemerken.
»Silencio!« brüllte er in die Nacht hinaus und wandte sich wieder dem Zimmer zu – zu seiner Verblüffung sah er, daß der antike Kristallblock nun in einem silbrigen Licht leuchtete.
Als er sich über den schimmernden Kasten beugte, verwandelte sich das Summen in eine deutlich wahrnehmbare Vibration. Die diamantähnlichen Wände pochten und pulsierten. Die schneidende Kälte war von der ölig-glatten Oberfläche gewichen, die nun eine prickelnde Wärme ausstrahlte... wie kräftige Sonnenstrahlen, die ihn wohltuend durchflossen.
Salida drückte auf einige der Glyphen, um die hektische Aktivität zu beenden – doch statt dessen
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