Akte X
eine Art olympisches Dorf«, murmelte Mulder. Er und Scully folgten dem alten Archäologen auf die Lichtung hinaus, während die einheimischen Führer zurückfielen und nervös in irgendeinem indianischen Dialekt mit Aguilar redeten.
»Sagten Sie Ballspiele, Dr. Rubicon?« Scully zwinkerte sich den Schweiß aus den Augen. »Sie meinen, es gab schon damals Sportveranstaltungen vor Publikum?«
»Das da drüben war ihr Stadion, glaube ich.« Er deutete über die Lichtung hinweg auf einen weiträumigen, tieferliegenden Platz, der mit beschnitzten Steinquadern eingefriedet war. »Die Maya spielten eine Art, äh, Mischung aus Fußball und Basketball. Sie bewegten einen harten Gummiball mit ihren Hüften, Schenkeln und Schultern – mit den Händen durften sie ihn nicht berühren. Das Ziel war, den Ball durch einen aufrechten Steinring an der Mauer zu befördern.«
»Mit Cheerleadern, Wimpeln und allem Drum und
Dran«, meldete sich Mulder zu Wort.
»Die Verlierer eines Turniers wurden meist den
Göttern geopfert«, fuhr Rubicon ungerührt fort. »Man
schlug ihnen die Köpfe ab, schnitt ihre Herzen heraus
und ließ ihr Blut auf den Boden fließen.«
»Ich nehme an, damals galt es noch nicht als Ehre,
wenn man das Finale erreichte«, brummte Mulder. Doch dann nahm Rubicons Gesicht einen tief
besorgten Ausdruck an, als er weiter vorwärts trat und
sich in alle Richtungen umschaute. Er zupfte an seinem
schmutzverkrusteten Spitzbart und hinterließ einen
schlammigen Fingerabdruck an seinem Kinn. »Ich sehe
keine Hinweise auf Cassandra und ihr Team hier,
keinerlei Anzeichen von ehrgeizigen
Ausgrabungsarbeiten.« Er blickte sich noch einmal um,
doch ringsum war nichts zu sehen außer dem
unendlichen, bedrückenden Dschungel, der grünen,
tückisch atmenden Hölle. »Ich sollte wohl die Hoffnung
aufgeben, ihr Problem könnte etwas so Harmloses wie ein
beschädigtes Funkgerät gewesen sein.«
Scully wies auf eine Stelle, wo die Bäume und das
Unterholz abgehackt worden waren. Abgeschnittene Äste
und entwurzelte Kletterpflanzen lagen zu einem halb
verbrannten Hügel aufgeschichtet – offenbar hatten die
Mitglieder des vermißten Teams versucht, ein großes
Feuer zu entzünden, um den Unrat zu beseitigen... oder
um eine Art Notsignal zu senden. »Es ist noch nicht lange
her, daß sie hier waren«, meinte sie. »Ich vermute, daß
die nachwachsende Vegetation alle Spuren ihrer Arbeit
innerhalb eines Monats verschlingen würde.«
Aguilar stieß zu ihnen, hörte Scullys Worte und
grinste. »Vielleicht haben sie sich im Dschungel verirrt.
Vielleicht sind sie von Jaguaren gefressen worden, eh?« »Das ist nicht gerade hilfreich.« Scully würdigte den
Führer keines Blicks.
»Dazu dürfte Cassandras Team zu vorsichtig gewesen
sein«, sagte Rubicon mit Nachdruck, als wolle er sich
selbst überzeugen. »Im Gegensatz zu den alten Zeiten, in
denen Hobby-Schatzsucher aufs Geratewohl die Gegend
durchstöberten, müssen professionelle Archäologen mit
größter Vorsicht vorgehen, jeden Stein umdrehen und
die kleinsten Einzelheiten aufdecken.«
Er starrte die verwitterten Steinstrukturen an. »Manche
der schlimmsten Amateure bildeten sich ein, der
Geschichtswissenschaft dienen zu können. Sie kamen um
die Jahrhundertwende zu den alten Tempeln, schaufelten
die herabgefallenen Steinblöcke von den Wänden weg
und schichteten alle Tonscherben und mit Glyphen
beschnitzten Steine zu riesigen Schutthaufen auf... wir
nennen Sie GAW-Haufen, für: Gott Allein Weiß... denn
Gott allein weiß, was da alles durcheinander liegt.« Sie gingen behutsam weiter, auf Zehenspitzen und
flüsternd, als fürchteten sie, die alten Geister der Stadt zu
beleidigen. Pflastersteine aus Kalkgestein hatten der Plaza
einst eine ebene Oberfläche verliehen, doch nun waren
die Steinplatten von herausragenden Wurzeln verschoben
und emporgedrückt worden.
Mit belegter Stimme sagte Rubicon: »Ich kann mir
denken, warum Cassandra so begeistert war. Das hier ist
der Traum eines jeden Archäologen – alle Stadien der
Geschichte der Maya vereint. Alles, was wir hier sehen,
bedeutet eine neue Entdeckung. Jede Stelle, die wir
aufsuchen, jede neue Glyphe, die wir finden, stellt etwas dar, was noch nie zuvor katalogisiert worden ist... Jedes einzelne Relikt könnte der langersehnte Rosetta-Stein für die Schrift der Maya sein. Es könnte den Schlüssel zu dem Geheimnis enthalten, warum dieses große Volk vor Jahrhunderten seine Städte verließ und verschwand... äh, jedenfalls
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