Akte X
hob Duane den Kopf und starrte Mulder über seine Unterarme hinweg an. Seine Stimme war undeutlich vor Müdigkeit. »Wie alt war Ihre Schwester, als die sie geholt haben?« »Sie war acht«, erwiderte Mulder. Er war zwischen Anspannung und Erschöpfung hin- und hergerissen.
Duane nickte. »Ich habe da manchmal auch Kinder gesehen. Kleine Mädchen.«
Mulders Muskeln spannten sich an. Kleine Mädchen, dachte er. Wie meine Schwester. »Was... machen die mit ihnen?«
Duane hob langsam die Schultern und ließ sie wieder sinken, die Geste eines Mannes, der schon zu viele furchtbare Dinge gesehen hat, um einem einzelnen Ereignis noch eine besondere Bedeutung zuzumessen. »Sie wissen schon... Untersuchungen. Sie werden getestet.«
Mulder schloß die Augen. Auf einmal drohte die ununterbrochene Nervenbelastung über seine Kräfte zu gehen. Er war so schrecklich müde. Nicht nur, was diese Situation anbetraf, sondern... einfach wegen allem. Er wußte, daß er Duane zum Weitersprechen bewegen mußte, aber was, wenn Duane tatsächlich...? Was, wenn er etwas - oder vielmehr jemanden - gesehen hatte?
Meine Schwester, dachte Mulder.
Er öffnete die Augen wieder. Rund zwei Meter über Duanes hängendem Kopf ragte plötzlich die kleine silberne Spitze eines Bohrers aus der Wand. Weißer pulveriger Gipsmörtel rieselte auf Duanes Rücken herab.
Was, zum Teufeln...?
Aber er wußte bereits, worum es sich handelte. Um einen Trick aus der Zauberkiste des FBI. Natürlich hatte es niemand für nötig befunden, ihn über den Innenohrlautsprecher vorzuwarnen. Lucy Kazdin hatte ihn wegen seiner Befragungstechnik gerügt, verzichtete jedoch darauf, ihn auf etwas hinzuweisen, das er vielleicht hätte wissen müssen, um ihrer aller Leben zu retten. Noch mehr Gipsstaub rieselte herab, dann verschwand der Bohrer wieder in der Wand.
Mulder atmete tief durch. Seine Mattigkeit war verflogen. Hätte Duane in diesem Augenblick aufgesehen...
Zum Glück nicht. Bring ihn weiter zum Reden!
»Duane?«
»Sie sagen ihnen, daß sie nicht weinen sollen.«
»Tun sie ihnen weh, Duane?«
»Oh, manchmal sind die Untersuchungen schmerzhaft. Manchmal möchte man einfach nur noch sterben, verstehen Sie?«
Mulder zuckte zusammen. Duane bemerkte seine Miene und seufzte.
»Wissen Sie, wie das ist, Sir? Es ist, als würde man Ihnen eine geladene Pistole an den Kopf halten, und Sie hätten keine Ahnung, wann sie losgeht.«
Es kostete Mulder einige Mühe, den Blick nicht zu dem Loch in der Wand über Duanes Kopf hinauf wandern zu lassen. »Geben Sie die anderen frei, Duane. Lassen Sie sie gehen und behalten Sie mich dafür.«
Duane sah zu ihm auf, und plötzlich glitt ein mattes liebenswertes Lächeln über sein Gesicht. Es war das Lächeln des kleinen Jungen, der er einmal gewesen war, vor langer Zeit. Sanft und verletzlich. »Wissen Sie«, sagte er, »wenn Ihre Kollegen erfahren würden, was Sie hier alles gesagt haben, würden sie Ihnen den Arsch aufreißen.«
»Duane, Sie haben nichts zu verlieren«, erwiderte Mulder. Und wahrscheinlich werden die mir ohnehin den Arsch aufreißen, fügte er in Gedanken hinzu.
Duane schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das würde ich Ihnen nicht antun.« Er lächelte erneut, aber diesmal war die Liebenswürdigkeit verschwunden. »Außerdem haben der Doc und ich eine Verabredung. Stimmt's, Doc?«
Mulder warf einen kurzen Blick zu Hakkie hinüber, der wieder zu sich gekommen war und Duane mit neuerwachter Panik anstarrte.
4 Lagerraum neben dem Travel Time-Reisebüro
Agent Grossinger stand auf der Klappleiter und schob das dünne Glasfiberkabel durch das Loch, das er gerade in die Wand gebohrt hatte. Auf dem Tisch mit den Bauplänen stand jetzt ein kleiner Monitor, der grün leuchtete.
»Das müßte funktionieren«, murmelte Agent King. Grossinger ruckte ein letztes Mal an dem Kabel und vergewisserte sich, daß es festsaß. Am Ende des Kabels war eine Miniatur-Videokamera installiert, die momentan mit einem stationären Bildschirm verbunden war, aber auch mit einem tragbaren System gekoppelt werden konnte. Das Gerät hatte sich als besonders hilfreich in Situationen erwiesen, in denen die Spezialeinsatzkräfte gezwungen waren, Türen aufzubrechen. Man konnte das dünne Kabel unter einer geschlossenen Tür hindurchschieben und nachsehen, was einen auf der anderen Seite erwartete, bevor man losschlug.
Grossinger kletterte von der Leiter herab und gesellte sich zu seinen Kollegen am Tisch.
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