Akte X
zeigte von der Straße weg.«
Unter seinen Knien konnte Mulder den Asphalt vibrieren spüren, als ein schwerer Jeep die Straße hinunterrumpelte. Etwas klapperte leise, und er sah, wie ein Plastikbecher in Richtung Leitplanke über die Fahrbahn hüpfte. Seine Gedanken verdichteten sich, als der Becher an dem grasbewachsenen Abhang jenseits der Leitplanke verschwand. Er erhob sich und ging an den Straßenrand. Langsam bewegte er sich an der Leitplanke entlang, bis er, nicht weit von Canton, stehenblieb.
In der Eisenstrebe war eine kleine Delle, etwa in Kniehöhe. Mulder bückte sich und betrachtete die Einbuchtung. Dann sah er sich zur Straße um. »Mr. Canton, was sagten Sie, wie schnell der vordere Wagen unterwegs war?«
»Etwa fünfundsechzig Meilen pro Stunde. Das würde ich jedenfalls aufgrund der Unfallschäden veranschlagen.«
»Und der Lieferwagen fuhr etwa mit der gleichen Geschwindigkeit, als die hinteren Türen aufsprangen?«
»Richtig.«
Mulder nickte. Die Lage der Beule schien zu seinen Gedanken zu passen. Wenn John Doe aus dem Lieferwagen auf die Straße gestürzt und dann gegen die Leitplanke gerutscht war, dann wäre er etwa an der Stelle gelandet, an der Canton stand. Das einzig Unstimmige war der Zustand, in dem sich John Does Körper befunden hatte. Beide Sanitäter und der Medizinstudent hatten bestätigt, was die beiden Assistenzärzte im Krankenblatt vermerkt hatten: John Doe hatte keinerlei äußere Anzeichen für ein Trauma aufgewiesen. In Gedanken konnte Mulder schon jetzt hören, was Scully fragen würde, wenn er ihr von seiner Theorie erzählte: Wie konnte ein Mann bei fünfundsechzig Meilen in der Stunde aus einem Lieferwagen fallen, eine Leitplanke verbeulen, und sich keine äußeren Verletzungen zuziehen?
Auf diese Frage hatte auch Mulder keine Antwort - noch nicht. Dennoch war er gewiß nicht bereit, diese Theorie einfach aufzugeben. Es gab eine Verbindung zwischen John Doe und Perry Stanton, und Perry Stanton hatte erstaunliche, übermenschliche Leistungen vollbracht. War es da nicht denkbar, dass auch John Doe gewissermaßen unverwundbar gewesen war?
Mulder griff in seine Manteltasche und zog einen sterilen Kunststoffbeutel und einen kleinen Roßhaarpinsel hervor. Dann bückte er sich zu der Delle hinab und bürstete die Staubschicht in den Beutel. Er bezweifelte zwar, dass er dort irgend etwas finden würde, aber schließlich konnte er nicht ausschließen, dass eine genaue Untersuchung doch noch Fasern oder andere Beweise zutage fördern würde.
»Was machen Sie denn da?« fragte Canton, während er ihm zuschaute. »Ich habe doch gesagt, dass wir John Doe da drüben gefunden haben.«
»Ich glaube nicht, dass er von Anfang an dort gelegen hat. Ich denke, das war lediglich die Stelle, an der sein Körper schließlich liegengeblieben ist. Die Reise, die er vorher gemacht hat, interessiert mich.« Mulder wollte sich gerade auf den Boden knien, um auch dort nach Beweisen zu suchen, als sein Pinsel sich in einer winzigen Kerbe in der Leitplanke verhakte. Als er zog, um den Pinsel zu lösen, sah er, dass sich winzige Fasern weißen Stoffes in den feinen Roßhaaren verfangen hatten. Er hielt den Pinsel dicht vor die Augen, woraufhin er Spuren einer Art roten Pulvers entdeckte, die an der Unterseite der Stofffasern klebten. Das Pulver hatte einen strengen, modrigen Geruch, ähnlich einer Brotscheibe, die zu lange in einem feuchten Schrank gelegen hatte. Er fragte sich, ob Pulver und Stoff etwas mit dem geheimnisvollen John Doe zu tun haben mochten. Es war durchaus möglich, dass die Kerbe in der Leitplanke die Fasern vor der Macht der Natur geschützt hatte. Er zog eine zweite Plastiktüte aus der Manteltasche und ließ die Stofffasern hineingleiten. Dann ging er zurück zu Canton, der ihn mit sonderbarem Blick musterte. »Warum interessiert sich das FBI so sehr für diesen John Doe? War er eine Art Serienmörder?«
»So weit wir bisher wissen«, entgegnete Mulder,während er in die Knie ging, um weitere Proben von der Straße abzunehmen, »hat er nichts getan. Er ist lediglich gestorben. Das Problem ist, dass seine Haut nicht mit ihm gestorben ist.«
Mulder ließ den Gedanken unausgesprochen, der ihm gerade durch den Kopf geschossen war: Vielleicht war seine Haut der Mörder, nicht irgendwelche Mikroben, die er in seinem Blut gehabt haben mochte - wie Scully vermutete - sondern die Haut selbst. Denn das war der gemeinsame Nenner. Kein Blut, keine Mikroben, keine
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