Akte X
Emile Paladin irgendeinen Fehler gemacht - und Perry Stantons tödlichen Amoklauf ausgelöst. Um die Sache zu vertuschen, brachte er anschließend die beiden Medizinstudenten um.«
Scully lehnte sich in ihrem Sitz zurück, innerlich aufgewühlt wie die Luft draußen vor dem Fenster. Mulders Paranoia hatte ihn wieder einmal zu Schlußfolgerungen veranlaßt, die die momentane Faktenlage weit hinter sich ließen. Es gab keinerlei Grund anzunehmen, dass Emile Paladin noch am Leben war. Es gab auch keine schlüssige Verbindung zwischen den Polypen in Perry Stantons Schädel und dem Tod der beiden Medizinstudenten. Doch Scully wusste auch, dass es nicht ratsam war, Mulders Theorie einfach zu verwerfen: Seine Intuition - so verrückt sie oft erscheinen mochte war einmalig. »Wir sind nicht hier, um einen Toten zu jagen, Mulder. Wir sind hier, um Andrew Paladin zu suchen.«
Bevor Mulder antworten konnte, neigte sich die 747 plötzlich nach vorn und die Kabinenbeleuchtung blinkte dreimal auf. Eine Stimme mit starkem Akzent verkündete, dass die Maschine nun zum Landeanflug auf den Bangkok International Airport ansetzen würde. Mulder wartete, bis die Durchsage zu Ende war, und räusperte sich dann. »Sie haben recht. Wir müssen mit Andrew Paladin beginnen. Aber ich glaube nicht, dass ein paar Antworten eines einsiedlerischen Bruders diese Untersuchung beenden werden.«
Mit einem resignierenden Nicken ließ Scully das Gespräch auf sich beruhen. Sie lehnte sich erschöpft zurück, während die Maschine im Sinkflug weiter und weiter durch die tobende Nacht pflügte.
Sechs Reihen hinter ihnen krabbelten Quo Tiens lange Finger wie eine Spinne über das Fenster und jagten die Regentropfen auf der anderen Seite der Scheibe. Er verfolgte, wie das Lichtermeer von Bangkok durch die Wolkendecke brach, während das Flugzeug die ihm zugeteilte Landebahn ansteuerte. Die riesige Metropole weckte gemischte Gefühle in ihm; er dachte an die Jahre, die er in ihren nächtlichen Straßen verbracht hatte, ganz im Banne seiner Kunst, immer bereit, den nächsten Auftrag auszuführen. Sieben Jahre hatte er sich dort seinen Lebensunterhalt verdient - aber seine wahre Heimat war immer Alkut geblieben.
Tien war ein Mischling, der Sohn eines amerikanischen Soldaten und einer Thai-Prostituierten, eine Tatsache, die ihn in seiner Kultur zu einem Unreinen, Un-berührbaren machte. Doch er hatte seine Herkunft nie verflucht. Die Distanz zwischen ihm und den Kindern, mit denen er aufgewachsen war, hatte nichts mit der helleren Tönung seiner Haut zu tun. Es war immer eine Frage des Appetits gewesen. Eine Frage des Hungers.
Er dachte an die beiden Agenten, die ein paar Meter vor ihm saßen, und sein Unterleib brannte und schickte vertraute Hitzewellen durch seinen Körper. Ein verträumtes Lächeln huschte über sein schmales Gesicht. Genüßlich schloß er die Augen und gab sich dem wiegenden Rhythmus des Sturmes hin.
Kapitel 15
Zwölf Stunden später rauschte der Regen in M J dichten grauen Schleiern vom Himmel, während Mulder einen gemieteten Jeep mit Allradantrieb über die Schlammpiste steuerte, die einmal eine Straße gewesen war. Scully hatte eine Straßenkarte der US-Army auf ihrem Schoß liegen und schien große Mühe zu haben, die zwanzig Jahre alten militärischen Angaben mit der Umgebung in Einklang zu bringen. Mittlerweile war sie mehr als müde und frustriert. Immer wenn der Jeep über eins der kratergroßen, scheinbar aus dem Nichts entstehendem Schlaglöcher holperte, fielen ihr feuchte Haarsträhnen in die Augen und ihre Knochen wurden durchgerüttelt. Sie fluchte gepreßt - ein für Scullys Verhältnisse so ungewöhnliches Benehmen, dass Mulder schmunzeln musste, auch wenn er nachempfinden konnte, wie ihr zumute war. Er selbst fühlte sich alles andere als ausgeruht, während er das widerspenstige Lenkrad zu bändigen versuchte und ihm der Schweiß in Strömen über Brust und Rücken lief. Jede Unebenheit der desolaten Straße brachte den altersschwachen Jeep ins Schlingern.
Bis jetzt hatte sich Thailand noch nicht als das tropische Paradies gezeigt, von dem er bisher geträumt hatte. Die Schönheit der Landschaft war irgendwann vom Regen, von der drückenden Hitze, der erstickenden Schwüle und den zunehmend primitiveren Bedingungen verdrängt worden. Längst hatte Mulder sein Jackett abgelegt und trug nur noch ein dünnes Baumwollhemd und seine Hose - doch der Stoff klebte erbarmungslos an der juckenden Haut. In der fast
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