Akte X
älterer Junge in einer ähnlichen roten Robe aus einer der anderen Nischen. Mulder fragte sich, ob es hinter der Wand einen Raum voller Mönche geben mochte, die nur auf Ganons Anweisungen warteten. Sein Blick kehrte wieder zu dem alten Mann zurück. »Aber Sie glauben nicht, dass es ein Märchen ist. Sie glauben, dass das Ungeheuer wirklich existiert.«
Mit einem listigen Lächeln hob Ganon die Schultern. Statt einer Antwort schnippte er mit den Fingern, und der junge Mönch durchquerte mit schnellen Schritten den Raum, bis er dicht vor Mulder stand. Der Junge war sehr dünn, fast abgemagert, mit einem länglichen, rasierten Schädel und eingefallenen Augen. Wortlos zog er eine kleine Glasphiole aus seiner Robe. Die Phiole war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt, in der winzige Blätter schwammen.
»Es ist unwichtig, was ich glaube«, erwiderte Ganon in einem leichten Singsang. »Ich bin ein bescheidener Diener dieses Tempels. Meine Aufgabe ist es, das Feuer dieses Altars am Leben zu halten. Und meinen Schutz jenen anzubieten, die darum bitten.«
Auf sein Nicken hin öffnete der abgemagerte Junge die Phiole und ließ ein paar Tropfen der klaren Flüssigkeit in seine Rechte rinnen. Dann beugte er sich vor und hob die Hand zu Mulders Wange empor. Unwillkürlich wich Mulder zurück.
»Malku wird Ihnen nichts tun. Der Balsam ist ein Mittel gegen Geister. Er schützt die Haut. Jeder, der in die Berge um Alkut wandert, muss den Balsam auftragen - oder er riskiert sein Leben.« Mulder zog die Brauen hoch, während er zuließ, dass der junge Mönch die Flüssigkeit auf seinen Wangen verrieb. Sie roch intensiv und bitter wie Mandeln mit einem Hauch von Schwefel. »Und Sie glauben, dass ich einen Ausflug in die Berge machen werde?«
Erneut hob der Greis die schmalen Schultern. »Wie ich schon sagte, es ist unwichtig, was ich glaube.«
Mit verengten Augen versuchte Mulder, den Gesichtsausdruck des alten Mannes zu deuten, während der Junge zurücktrat und Mulder die Phiole in die Hand drückte. »Nehmen. Macht Haut schlecht schmecken. Nehmen.«
Bevor Mulder irgendwelche Einwände erheben konnte, wandte sich der Mönch ab und huschte zu seiner Nische zurück. »Ist es das, was die Kreatur macht - ißt sie die Haut? Wie ihr Name schon sagt?«
»So lautet die Legende.« Ganon schritt würdevoll zum
Altar hinüber. »Haut ist die Quelle seiner Unsterblichkeit. Gin-Korng-Pew nährt sich von der Haut der Unglücklichen - um seine Kräfte zu stärken. Wenn er schläft, braucht er keine Nahrung. Nur wenn er gestört wird, bekommt er Hunger.«
Mulder beobachtete, wie Ganon den Altar erreichte. Er wusste nicht genau, wie diese Information in den Fall paßte - doch er wusste, dass sie von Bedeutung war. Häuf ist die Quelle seiner Unsterblichkeit. Ganons Worte hallten in Mulders Kopf wider. Es musste irgendeine Verbindung zwischen dem Skin Eater und Emile Paladin geben . . . und damit auch zu Perry Stanton.
»Die MASH-Einheit hat also die Kreatur geweckt, und sie machte sich hungrig auf die Jagd«, folgerte Mulder. »Emile Paladin muss das Ungeheuer auf irgendeine Weise gestört haben, und seinetwegen musste ganz Alkut leiden. Jetzt liegt die Kreatur wieder im Winterschlaf. Irgendwo in den Bergen.«
Ganon antwortete nicht, sondern griff unter den Altar und brachte einen langen Metallstab mit einer kleinen Kelle am Ende zum Vorschein. Vorsichtig tauchte er das Stabende in die brennende Flüssigkeit und rührte sie langsam um: Hoch züngelten die Flammen, glühenden Dolchen gleich, die sich wie lebende Seile um die Stoßzähne der monströsen Kreatur wanden.
»Irgendwo in See Dum Kao«, fügte der Mönch leise hinzu und starrte in die Flammen. »In einer riesigen Höhle namens Thum Phi - der Geisterhöhle.«
Auf einmal hatte Mulder das unbestimmte Gefühl, dass Ganon ihm zu verstehen geben wollte, dass er die Lage von Thum Phi kannte, dass er wusste, wo das mythische Ungeheuer hauste. Mulder musterte die Glasphiole in seiner Hand. Dann wanderte sein Blick zur Statue des Skin Eaters hinüber.
Vielleicht sagte ihm der Alte aber auch nur, was er bereits vermutet hatte - dass die Antworten, die er suchte, in der grünen Hölle der Berge zu finden waren. Irgendwo dort draußen.
Dreißig Minuten später fand Mulder Scully auf der Treppe des Rathauses, wo sie sich niedergelassen hatte und in einem alten Papphefter blätterte. Die Treppe wurde von einem kleinen Meer farbenprächtiger Blüten geteilt, die aus hohem,
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