Akte X
einige Mühe, die Phiole aus der Hosentasche zu ziehen. Mit Zeigefinger und Daumen hantierte er an dem Verschluß, und als es ihm endlich gelang, die Kappe zu entfernen, stieg ihm ein bitterer Geruch in die Nase. Er dachte an die Worte des abgemagerten jungen Mönchs, der ihm das Glas überlassen hatte: »Macht Haut schlecht schmecken.« Er dachte an das Ungeheuer aus seinem Traum, an die gekreuzten Stoßzähne. Er schauderte und legte die Hand noch fester um die Phiole. Dann riß er ruckartig das Handgelenk hoch.
Er spürte, wie die durchsichtige Flüssigkeit auf seine Brust spritzte. Ein paar Tropfen berührten sein Kinn und seinen Hals, ein paar weitere landeten auf seinen Schultern und Wangen. Der bittere, schwefelähnliche Geruch brannte in seiner Nase, und er wusste, dass ihn Scully für verrückt erklären würde. Er befand sich in einem unterirdischen Forschungslabor - nicht in der Höhle eines Ungeheuers. Doch er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Gin-Korng-Pew irgend etwas mit der Sache zu tun hatte...
Er erstarrte, als er Schritte hörte und jemand von der anderen Seite an den Vorhang trat. Hastig schob Mulder die Phiole unter sein Bein, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen.
Der Vorhang wurde zurückgerissen, und Mulder starrte die Gestalt mit zusammengekniffenen Augen an. Fast zwei Meter groß, langgliedrig, mit schmalen Schultern trug der Mann einen hellblauen Kittel, Latexhandschuhe und einen weißen Mundschutz. Sein Haar war unter einer Plastikkappe verborgen. Nur die Augen des Mannes waren sichtbar, und sie waren von einem fast durchscheinenden Blau dem kalten Blau einer Flamme. Mulder schluckte und versuchte, gelassen zu wirken, doch diese Augen waren fast so beunruhigend wie die Spiralaugen des Gin-Korng-Pew. Unwillkürlich fragte sich Mulder, ob es sich bei seinem Besucher um Emile Paladin handelte.
Der Mann drehte sich und gab mit leiser Stimme einige Anweisungen. Außerhalb von Mulders Sichtweite schienen noch andere Personen im Raum zu sein, denn dienstbeflissene behandschuhte Hände hielten dem Fremden ein dünnes Plastiktablett hin. Der blauäugige Mann nahm zwei Gegenstände vom Tablett und wandte sich wieder Mulder zu.
Mulders Blicke wanderten zu den Händen des Mannes. In der Rechten hielt er ein Stahlinstrument, das wie eine überdimensionale Heftmaschine geformt war. Mulder erinnerte sich an das Gespräch, das er und Scully vor Tagen mit Perry Stantons plastischem Chirurgen geführt hatten. Er hatte etwas von einem Hefter erwähnt, der bei Hauttransplantationen benutzt wurde. Nein, bitte nicht. Mulders Blick glitt zur anderen Hand des Mannes und erhaschte eine große Stahlpinzette, in der ein etwa zehn Quadratzentimeter großer Streifen aus einem dünnen, gelben Material baumelte. Das Material sah organisch und feucht aus, als wäre es soeben aus einer Konservierungslösung genommen worden. Gewaschen und bereit für die Transplantation.
»Warten Sie«, flüsterte Mulder heiser. »Sie machen einen großen Fehler. Man wird nach mir suchen.« Der blauäugige Mann schüttelte die Pinzette, und winzige Tropfen der Konservierungsflüssigkeit fielen zu Boden. »Setzen Sie ihm die Maske auf. Sofort.«
Plötzlich drückten kräftige Hände eine Gummimaske auf Mulders Mund und Nase. Mit aufgerissenen Augen starrte er in das breite Gesicht, das sich an der Kopfseite der Liege über ihn beugte. Und auch wenn der zweite Mann ebenfalls einen Mundschutz trug, erkannte Mulder die eckige Form seines Schädels wieder. Julian Kyle.
Er ist hier in Thailand. Mulder hielt den Atem an und wand sich verzweifelt im Griff des Wissenschaftlers. Doch der Ex-Militär war zu stark.
»Atmen Sie tief durch«, flüsterte Kyle in sein Ohr. »Sie werden keine Schmerzen spüren.«
Erneut bäumte sich Mulder auf, stemmte sich gegen den Gurt. Seine Lunge krampfte sich schmerzhaft zusammen, doch er hielt weiter die Luft an. Kyle drückte die Maske fester auf sein Gesicht. »Es muss sein.«
Vor Mulders Augen tanzten rote Punkte, und plötzlich zerbrach der Widerstand in seinem Inneren: Er keuchte und atmete ein. Ein süßer Geschmack legte sich auf seine Zunge, während sich seine Lider flatternd schlössen. Er hörte, wie sein Hosenbein zerrissen wurde, spürte, wie etwas gegen seine linke Wade drückte. Etwas Kaltes und Nasses.
Mein Gott, mein Gott, mein Gott! Doch er war hilflos und drohte jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Als es langsam schwarz um ihn wurde, hörte er wie aus weiter
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