Alanna - Das Lied der Loewin
entgehen.
»Was gibt es Neues vom Feind, Tor?«, fragte jemand.
»Nichts«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Sie hocken so still wie die Karnickel, wenn der Jäger in der Nähe ist. Vielleicht haben sie mitbekommen, dass Verstärkung gekommen ist.«
Da nur ein Blinder die tausend Soldaten und Ritter hätte übersehen können, die an diesem Morgen in die Tortaller Lager geströmt waren, wurde diese Bemerkung mit schallendem Gelächter quittiert.
»Das wird sie etwas im Zaum halten«, sagte ein etwas verlottert wirkender Mann, als sich die anderen beruhigt hatten. »Wisst ihr auch, wer hier an den Wasserfällen das Kommando führt? Seine Hoheit, der Prinz.«
Der Mann namens Thor runzelte die Stirn. »Dabei ist das ja wohl sein erstes Kommando, oder? Vermutlich nehmen sie an, dass der Feind hier oben nicht viel im Schilde führt ...«
»Möglich, dass sich die Tusainer von uns erholen müssen«, scherzte einer.
Alanna, die mit den anderen lachte, verschluckte sich an einer Bohne. Sie hustete und fluchte, und ihre Augen tränten.
Eine riesige Hand klopfte auf ihren Rücken und brach ihr dabei fast das Rückgrat.
»Na, Kleiner? Hast du was in den falschen Hals gekriegt?«, fragte Thor. Alanna schnappte nach Luft und bemühte sich ihn anzulächeln. Thor starrte sie an. »Sieh mal einer an!«, flüsterte er. »Der Bengel hat violette Augen!«
Die anderen drängten sich näher. Alanna starrte mit großen Augen zurück und errötete.
»Wo kommst denn du her?«, wollte Thor wissen.
Alanna bekam wieder Luft. »Ich bin heute früh mit den neuen Truppen angekommen.«
»Bist du nicht ein bisschen jung für’nen Krieg?«, fragte der verlottert aussehende Mann.
Alanna reckte stolz die Schultern. »Ich werde nächsten Monat sechzehn.«
»Das ist gelogen!«, antwortete er ungläubig. »Du bist keinen Tag älter als zwölf!«
Aram drängte sich durch die Menge und nickte in Alannas Richtung. »Nein, es stimmt. Er ist fast sechzehn. Er ist der Knappe vom Prinzen. Ich versorge ihre Pferde.«
»Wie hat es denn so ein kleines Bürschchen wie du geschafft, der persönliche Knappe des Prinzen zu werden?«, erkundigte sich Thor, während die anderen untereinander tuschelten.
»Dieses winzige Bürschchen«, sagte einer unter ihnen kühl, »ist einer der besten Schwertfechter am Hof. Letztes Jahr hat er höchstpersönlich einen ausgewachsenen Tusainer Ritter beim Schwertkampf geschlagen.«
Alanna spürte, wie sich ihr beim Klang der unbekannten Stimme die Haare sträubten. Thor sah auf und zog eine finstere Miene. »Da bist du also wieder, Jem Tanner. Und immer hast du Neuigkeiten zu erzählen. Stimmt’s?«
Ein junger Mann mit einem unangenehmen Lächeln kam an ihren Tisch geschlendert. Man hätte ihn als gut aussehend bezeichnen können, hätten seine Augen nicht so einen kalten Ausdruck gehabt.
»Macht es dir Spaß, bei uns gemeinen Soldaten zu hocken, Knappe?«
Alanna mochte ihn nicht. »Bis jetzt ja.«
»Lass den Kleinen in Ruhe!«, meinte einer.
»Ich will lediglich sicherstellen, dass er seinen Herren einen vorteilhaften Bericht erstattet. Worüber habt ihr gesprochen? Wie gut es euch gefallen hat, die Drellfestung zu halten, bis sich der Feind nun derart verschanzt hat, dass tausend Heere notwendig wären, um ihn wieder auszubuddeln? Darüber, was ihr von der Taktik des Königs haltet? Oder von seinen persönlichen Gewohnheiten?«
Bleich vor Zorn stand Alanna auf. »Ich spioniere für niemanden, das kannst du dir merken, Jem Tanner«, fauchte sie. »Halt gefälligst deine Klappe!«
Der Mann lachte. »Große Worte, Bürschchen!«
Eine große Hand drückte Alanna wieder auf den Sitz zurück. »Beruhig dich, mein Junge«, sagte Thor. Er drehte sich zu Jem. »Du hast es ganz schön eilig, mit ’nem fremden Jungen, der besser erzogen ist als du, Streit anzufangen. Mal sehen, ob du es genauso eilig haben wirst, dich mit mir anzulegen.«
Jem grinste höhnisch. »Ich wollte euch lediglich einen Gefallen tun und vor dem Spion warnen, der zwischen euch sitzt, ihr Idioten.« Er verließ das Zelt.
Alanna atmete tief durch und unterdrückte ihre Wut. Die Männer erklärten ihr, Jem sei ein übler Kerl, und sein Gerede habe nichts zu bedeuten. Nur Thor schwieg.
»Spionierst du für den Prinzen?«, erkundigte er sich dann.
Alanna packte ihren Teller. »Ich wollte lediglich mein Mittagessen. Ich glaube, das nehme ich in Zukunft woanders zu mir.«
Thor grinste und zog sie wieder auf ihren Platz. »Ruhig Blut,
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