Alanna - Das Lied der Loewin
verlor eine gefährliche Menge Blut und der Gebrauch ihrer Zauberkraft ermüdete sie schneller als gewöhnlich. Sie hatte jedoch Angst, einer, der es nicht so gut mit Thor meinte, könnte ihn finden und töten, wenn sie ihre Suche abbrach. Als Moonlight stehen blieb, stürzte Alanna fast hinunter. Die Stute stupste mit der Nase eine mächtige Gestalt an, die zur Hälfte im Wasser und zur Hälfte auf dem Trockenen lag.
Alanna kniete sich schwerfällig neben den Körper. »Thor?«, flüsterte sie. Der Mann rührte sich und stöhnte. Es war ziemlich schwierig, ihn mit einer Hand umzudrehen, doch abgesehen von dem Licht, das von ihm ausstrahlte, war ihr verwundeter Arm nutzlos geworden. Schließlich kam ihr Moonlight zu Hilfe und schob mit der Nase an. Als sie Thor endlich auf den Rücken gerollt hatte, wünschte sich Alanna, es wär ihr nicht gelungen.
»Ja.« Die Stimme des riesigen Mannes war nur noch ein Flüstern. »Er hat mich geblendet. Hast du einen Schnaps für mich?«
Alanna öffnete ihre Flasche und legte sie ihm vorsichtig an die Lippen. Er hatte nicht die Kraft sie selbst zu halten.
»Jem Tanner hat uns verraten«, keuchte Thor. »Wie er das angestellt hat, weiß ich nicht. Schon vom ersten Moment an, als wir unseren Posten bezogen, war er nervös. Jemand muss ein Signal gegeben haben, und dann hat er mich niedergeschlagen. Als ich wieder zu mir kam« – er legte die Hand an sein Gesicht –, »da war ich ganz benommen, aber ich konnte hören, wie die Hörner geblasen wurden.«
Während Thor sprach, untersuchte ihn Alanna mit ihrer Gabe und fühlte, wie ihrem Freund das Leben entglitt. Selbst wenn seine Verwundung nicht so schwer gewesen wäre, hatte er doch zu viel Blut verloren, um noch gerettet zu werden.
»Kannst du mir helfen?«, flüsterte Thor. »Ich würde am liebsten einfach einschlafen. Ich bin so müde.«
Alanna zitterte. Das Heilen war ihr angeboren, doch hatte sie ihre Gabe bisher noch nie dazu verwendet, einen Menschen zu töten. Sie glaubte nicht, dass sie das konnte.
Thor tastete, bis seine Hände ihre Arme fanden. »Du bist verletzt«, murmelte er, als er ihre durchweichte Binde berührte.
»Nein. Kümmere dich um deine eigenen Wunden. Ich habe es jetzt fast geschafft – es macht mir nichts, noch ein wenig länger auf den Dunkelgott zu warten.«
Alanna legte ihre gesunde Hand auf Thors Stirn, und ihre Gabe erleuchtete die Lichtung mit einem tiefvioletten Feuer. »Schlaf, Thor«, flüsterte sie.
Sie fühlte, wie er sanft in einen tiefen, dunklen Schacht glitt. Alanna erhob sich. Thors Herz stand still, und er lächelte. Unsicher erwiderte sie sein Lächeln, und dann drehte
sich alles um sie. Ihre Knie begannen zu zittern und gaben nach.
Mächtige gnädige Mutter, dachte sie entsetzt, als sie stürzte. Ich habe mich übernommen.
Eine mächtige Schattengestalt beugte sich über sie. »Thor«, seufzte sie, als sie den Dunkelgott erkannte. »Ihr wollt Thor.« Der Gott streckte eine Hand aus, die schwärzer war als die Nacht, und berührte ihre Augen. Alanna machte sie zu – wenn das der Tod war, dann kümmerte es sie nicht mehr.
6
Gefangen!
Die Sonne schien, als Alanna die Augen öffnete. Als sie ihren Arm berührte, in dem ein dumpfer Schmerz pochte, spürte sie dort einen dicken Verband.
»Den habe ich dir selbst angelegt.« Jonathan saß neben ihr auf einem Feldhocker. Er legte sein Buch beiseite. »Ich dachte, du wolltest nicht, dass dir Herzog Baird so nahe kommt, jedenfalls nicht, solange du bewusstlos bist. Übrigens war einer deiner Armmuskeln durchtrennt. Selbst mit deiner Gabe wird es eine Weile dauern, bis er wieder heilt. Das ist ein schlechtes Jahr für dich, was Muskeln und Knochen betrifft.«
Alanna lächelte gequält. »Danke. Hast du mich gefunden?«
»Eigentlich war es Trusty. Dieser Kater ist intelligenter als die meisten Menschen.«
Trusty gähnte. Klar bin ich das . Er sprang auf das Fußende von Alannas Bett und legte sich neben sie. Du hast drei Tage lang geschlafen, fügte er hinzu.
»Drei Tage!«, keuchte Alanna. »Unmöglich!«
»Wie – hat dir das der Kater verraten?« Jonathan schüttelte den Kopf. »Wie auch immer. Ich will es gar nicht wissen. Ja, es waren drei Tage. Warum hast du deine Gabe benutzt? Du hast immer noch geglüht, als wir dich fanden.«
Alanna rieb sich den Kopf. »Ich musste Thor finden und ich hatte kein Licht. Und dann ...« Plötzlich wurde ihr die Kehle eng und ihre Augen brannten. »Ich habe ihm geholfen
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