Alanna - Das Lied der Loewin
erschauderte der Wolf und heulte auf; ihre Klinge war ihm in die Seite gedrungen. Er stürzte und blieb mit zuckenden Pfoten liegen. Sie hatte ihn ins Herz getroffen.
Sie ließ zu, dass Jonathan sie unter dem Körper des Wolfes hervorzog. »Bist du wahnsinnig geworden«, flüsterte er und drückte sie einen Augenblick lang fest an sich.
»Er hat mich angegriffen.« Alanna schob Jon sanft von sich und berührte ihren Glutstein, um sich zu beruhigen. Plötzlich wurden die Farben, die Geräusche und sogar die Gerüche intensiver. Erschrocken sah sie, dass Roger von einem leuchtend orangefarbenen Glühen umgeben war. Noch eigenartiger war, dass auch von den Körpern der beiden Wölfe ein orangefarbenes Licht ausging, das langsam verblasste. Alanna betrachtete bestürzt die Tiere und Roger. Was sah sie da? Orange war Rogers Zauberfarbe. Aber warum glühten auch die Wölfe orangefarben? Ein Jäger untersuchte den Wolf, den sie soeben getötet hatte. »Das ist der Graue Dämon«, erklärte er dem König mit Bestimmtheit. »Ich selbst habe ihm vor drei Wochen das Auge ausgeschossen. Das
muss seine Gefährtin sein«, fügte er hinzu und nickte zu dem Wolf hinüber, den Roger erlegt hatte.
»Ist dir etwas passiert«, fragte Myles, der sich sorgte, weil Alanna so eigenartig dreinschaute.
Alanna ließ ihren Glutstein los. Das orangefarbene Licht, das Roger und die Wölfe umgeben hatte, war spurlos verschwunden. »Ob mir etwas passiert ist?«, fragte sie, ohne darüber nachzudenken, was sie sagte. »Ich weiß nicht so recht.«
An diesem Abend wartete Alanna, bis sie mit Trusty allein in ihrem Zimmer und bis Jonathan zu einem Fest gegangen war, bevor sie den Glutstein unter ihrem Hemd hervorholte. Der Kater sah ihr mit zuckendem Schwanz zu, als sie sich nach einem geeigneten Gegenstand umsah, mit dem sie experimentieren konnte. Schließlich legte sie ein altes Hemd vor die Feuerstelle. Nachdem sie den Stein in Reichweite auf einen Tisch gelegt hatte, konzentrierte sie sich auf das Hemd. Sie streckte die Hand danach aus und sprach den Zauberspruch der Verwandlung. Es war ein schwieriger Spruch, der Kraft und Konzentration erforderte, aber von beidem besaß sie zur Zeit mehr als genug. Die Schwäche, die sie im Sommer verspürt hatte, war verschwunden, und die Kraftreserven ihrer Gabe waren größer als jemals zuvor. Sie fragte sich sogar, ob es ihr nicht manchmal richtig Spaß machte, ihre Magie zu benutzen.
Violettes Feuer floss von ihren Fingern in das Hemd. Das Kleidungsstück zuckte und wand sich; langsam glätteten sich seine Umrisse, und es verfärbte sich braun. Alanna lief der Schweiß über die Wangen, als sie den Zauberspruch zu Ende sprach. Das Hemd vollführte einen letzten Kampf, ein Hemd zu bleiben, bevor es sich in ein Holzscheit verwandelte.
Mit einem Fingerschnippen beförderte Alanna das Scheit durch Zauberkraft ins Feuer. Als es zu knistern und zu brennen begann, griff sie nach ihrem Glutstein.
Das Scheit, die Luft zwischen Alanna und der Feuerstelle und selbst ihre Fingerspitzen strahlten violett. Langsam verblasste die Farbe und Alanna legte das Andenken an die Göttin beiseite. Trusty kam herübergelaufen, strich ihr um die Beine und miaute, bis sie sich hinunterbeugte, ihn hochhob und geistesabwesend streichelte.
»Ich glaube nicht, dass ich meinen Stein jemals berührt habe, wenn gerade ein Zauber vor sich ging«, flüsterte sie dem Kater zu. »In Rogers Unterricht habe ich ihn immer versteckt gehalten – ich befürchtete, er könne erraten, dass es mit dem Stein etwas Besonderes auf sich hat. Ich frage mich, ob er mir immer zeigen wird, wann Magie im Spiel ist.«
Wann ist dir aufgefallen, dass du mithilfe des Steins sehen kannst, wann Magie benutzt wird?, erkundigte sich Trusty.
»Heute Nachmittag«, flüsterte sie. »Roger war von der Farbe seiner Gabe umgeben und die beiden Wölfe auch.« Sie begann mit Trusty auf den Armen hin und her zu gehen. »Und was ergibt sich daraus? Was versprach er sich davon, den Grauen Dämon und seine Gefährtin zu verzaubern?«
Trusty hakte seine Krallen in ihren Waffenrock, kletterte auf ihre Schulter und blieb dort sitzen. Wen wollte der Graue Dämon töten?, fragte er.
»Mich«, flüsterte Alanna. »Mich wollte er töten.«
Der Frühling verflog, und Alannas siebzehnter Geburtstag kam näher. An diesem Morgen erhob sie sich schon vor Morgengrauen, zog sich an und ging zu der unterirdisch liegenden Kapelle, in der die Ritterprüfung stattfand. Sie
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