Alanna - Das Lied der Loewin
nicht!«, fauchte sie zum zehnten Mal. »Ich hatte ihn da ...« Sie streckte ihre schlanke weiße Hand mit nach oben gewandter Handfläche aus und ballte sie dann zu einer Faust. »Und jetzt muss ich schon dankbar sein, wenn er bei einem Fest ein einziges Mal mit mir tanzt!« Sie warf sich vor Herzog Rogers Sessel auf die Knie und schaute anmutig zu ihm auf. »Vergebt mir, Meister«, flehte sie. »Ich habe alles getan,
worum Ihr mich gebeten habt. Er ist einfach ...« Sie brach ab, sah zu Boden und klimperte mit ihren langen und dichten Wimpern.
Roger lächelte und strich ihr über das lange, dunkle Haar. »Ärgere dich nicht, meine Hübsche«, sagte er. »Dieser junge Mann entpuppt sich als ausgesprochen unbeständig. Glücklicherweise habe ich noch andere Pläne, die ich jetzt in die Tat umsetzen werde.«
»Andere Pläne?«, flüsterte Delia mit großen Augen. »Kann ich Euch helfen, Meister? Kann ich Euch irgendwie unterstützen? Ihr braucht es mir nur zu sagen!«
Roger, der immer noch das Haar des knienden Mädchens streichelte, sah in die Ferne. »Im Augenblick kannst du nichts für mich tun«, sagte er geistesabwesend. »Der nächste Schachzug ist an mir.« Er sah mit undurchdringlichen Augen auf sie hinunter. »Aber du musst dich bereithalten. Wenn alles schiefgeht, brauche ich deine Hilfe mehr als jemals zuvor.«
»Nichts wird schiefgehen!«, protestierte Delia heftig. »Nicht, wenn Ihr die Pläne geschmiedet habt!«
Herzog Roger von Conté lächelte wieder. »Vielleicht hast du recht, meine Liebe«, bemerkte er. »Ich hoffe es. Sei inzwischen ein liebes Mädchen und warte. Gib Jonathan zu verstehen, dass sich deine Zuneigung zu ihm nicht geändert hat, auch wenn er dir keine Aufmerksamkeit mehr schenkt.«
»Und Eure anderen Pläne?«, flüsterte Delia.
Der Zauberer strich sich über den Bart. »Du wirst sehen. Zumindest vorerst muss ich sehr vorsichtig sein, aber ich denke, dass du mich gut genug kennst, um zu merken, was ich im Schilde führe.« Er lachte. »Außer dir wird das keinem gelingen – dafür habe ich gesorgt!«
Und im Oktober brach in den ganzen Ostländern ein Fieber aus. Nur wenige starben, doch viele waren krank, und die Königin war eine der Kränksten. Lianne war noch nie robust gewesen und das Fieber wollte einfach nicht abklingen. Schließlich ging es ihr besser, aber ganz gesund wurde sie nicht.
Während die Königin krank war, wurden Alanna und Jonathan zum ersten Mal seit Alannas Geburtstag getrennt, da Jonathan Tag und Nacht am Bett seiner Mutter Wache hielt. Von da an war ihre Liebesaffäre nicht mehr dieselbe – Jon machte sich große Sorgen um seine Mutter. Er war nicht der Einzige. Alanna gefiel es gar nicht, wenn sie sah, wie die Königin wie ein Spatz aß und weiterhin Gewicht verlor, obwohl sie keines zu verlieren hatte. Lianne bekam auch einen Husten, den sie trotz Herzog Bairds bester Pflege nicht mehr loswurde.
»Myles«, sagte Alanna an einem Dezemberabend. Sie spielten gerade Schach. »Findet Ihr es normal, dass die Königin andauernd so kränklich ist?«
»Es sieht aus, als könne es sie das Leben kosten«, sagte Myles nach einer Weile stirnrunzelnd. »Soll ich das ›normal‹ finden?«
Alanna betrachtete nachdenklich einen Springer. »Herzog Baird ist der beste Heiler von Tortall. Warum kann er der Königin nicht helfen?«
Myles sah sie scharf an. »Du willst doch auf etwas hinaus, oder? Was bekümmert dich?«
Alanna nagte an ihrem Daumennagel. »Die Sache gefällt mir nicht«, gab sie zu. »Am Drell habe ich gesehen, wozu Herzog Baird fähig ist. Er ist von den Göttern gesegnet. Ein Fieber, einen Husten – derartige Dinge kann er im Handumdrehen
heilen. Nur diesmal nicht. Das einzige Mal, wo ich ihn hilflos sah, war während des Schwitzfiebers.« Sie schob einen Bauern ein Feld weiter. »Es gab Leute, die der Meinung waren, das Schwitzfieber sei durch einen Zauber ausgelöst worden. Ihr wart einer von ihnen – wisst Ihr noch?«
»Glaubst du, da gibt es eine Verbindung?«, fragte Myles.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, entgegnete Alanna. Dann nickte sie. »Ja, das glaube ich – und jetzt will ich nicht mehr länger schweigen. Zu viele schlimme Dinge sind Jonathan und all denen, die ihm nahe stehen, zugestoßen. Ich glaube ...«
»Alan, die Königin war noch nie sonderlich kräftig«, erinnerte Myles sie. »Sie hat sich nie ganz vom Schwitzfieber erholt. Ihre jetzige Schwäche ist vermutlich nicht so ungewöhnlich. Überleg es
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