Alanna - Das Lied der Loewin
seinem Krieg mit Kralle. Er war ausgebrochen, als Georg eine Zeit lang in Caynnhafen gewesen war, um dort eine Revolte niederzuschlagen und eine Liebesaffäre mit Alanna zu beginnen. Vor vier Monaten hatte Kralle versucht sich in Georgs Abwesenheit zum König der Diebe zu machen, und er hatte viele von Georgs Leuten erpresst und dazu gezwungen, sich auf seine Seite zu schlagen. Anschließend hatte er den Versuch unternommen Georg zu vergiften. Um seinen Thron zu retten, war Georg in die Stadt zurückgekehrt und Alanna war wieder zu ihren Bazhir geritten. Damit hatte er sie vermutlich verloren, das war Georg schon damals klar.
Als Georg jünger gewesen war, hatten die Dinge anders
ausgesehen: Wollte sich einer zum Schurkenkönig ernennen, dann forderte er den, der bisher dieses Amt bekleidete, zu einem Kampf vor Zeugen auf. Dem Sieger stand der thronartige Sessel im Tanzenden Täubchen und ein Zehntel des Gewinns bei jedem größeren Geschäft und Diebstahl zu. Er wies seinen Schurken die einträglichsten Arbeiten zu und schlichtete Streitigkeiten. Er war der König der Tortaller Unterwelt, und man leistete ihm wesentlich mehr Gehorsam, als der König im Palast jemals zu erwarten hatte.
Doch Kralle wollte keinen Kampf. Er schwor Georg Treue – und schickte ihm nachts seine Leute auf den Hals. Viele Schurken entschieden sich inzwischen täglich von Neuem, wem sie nun folgen wollten, je nachdem, wer von den beiden gerade der Sieger zu sein schien. Nur Georgs älteste Freunde hielten zu ihm.
Was soll das Ganze? , überlegte sich der König der Diebe. Flitterkram. Die Treue von denen, die sie im nächsten Moment wieder verkaufen. Eine Chance das Los einiger weniger zu verbessern – mit der Wahl zwischen einem Messer im Dunkeln oder dem Galgen des Obersten Richters . Inzwischen war Georg nur noch daran gelegen, Kralle zu erledigen. Myles hatte einen Mann losgeschickt, damit der Kralles Vergangenheit ans Licht brachte. Die Geschichte, die der einäugige Mann Georg bei seiner Ankunft in Corus erzählt hatte, stimmte ebenso wenig wie sein Name. Bei anderen Dieben war das unwichtig. Aber Kralle sprach und benahm sich manchmal wie ein Edler.
»Majestät!« Ein Gassenjunge, den Georg nicht kannte, kam hereingestürzt. »Majestät, komm schnell! Kralle ist von den Männern des Obersten Richters geschnappt worden!«
Immer noch in Gedanken versunken, folgte Georg dem
Jungen durch die Hintertür hinaus. Als er nach draußen trat, versetzte ihm ein Mann von hinten einen Schlag, dass er in den Schlamm des Küchenhofs stürzte. Georg zog zwei Messer aus den Scheiden an seiner Taille. Das ist die Strafe , dachte er grimmig, während er um sich hieb und traf. Da vergisst du einen Augenblick, wachsam zu sein, und schon tippt dir der Dunkelgott auf die Schulter ...
Jemand schrie, als er wieder zustach. Der Mann, der an seinem Rücken hing, stürzte herab. Georg sprang auf, und seine Messer fuhren in silbernen Bögen durch die Luft. Einen der Schar, die ihn umringte, traf er in die Kehle, den Nächsten tiefer. Als ihm ein Vierter vom niedrigen Küchendach in den Rücken sprang, warf sich Georg rückwärts gegen die Mauer, um seinen Angreifer zu betäuben.
Ein anderer griff mit dem Schwert an. Ein Schmerz durchfuhr Georg in einer geraden Linie von seiner Schulter bis zum Oberschenkel. Er knirschte mit den Zähnen, schleuderte eines seiner Messer und traf den Schwertmann in die Brust.
Auf dem Küchenhof wimmelte es von Feinden – wo waren seine eigenen Leute? Er fand ein weiteres der vielen Messer, die er am Körper versteckt trug, und trat einem Mann mit einer Handaxt gegenüber. Der brüllte und holte aus, aber vier Pfeile brachten ihn zum Verstummen, und er führte seinen Schlag nicht zu Ende. Schwarze Pfeile regneten herab; sich aufbäumende Kriegsrosse der Bazhir machten jede Chance zur Flucht zunichte. Innerhalb von Sekunden waren auf dem Küchenhof nur noch die Pferde zu hören.
»Du hattest Glück, dass ich dich besuchen kam«, sagte Myles, der herangeritten kam. Er stieg vom Pferd und ging auf Georg zu, der taumelte. »Du brauchst einen Heiler!«
Georg schüttelte den Kopf. Einmal, damit der Kopf wieder klar wurde, gleichzeitig aber auch, um »Nein« zu sagen. »Solom«, murmelte er. Myles stützte ihn und führte ihn in die Küche des Tanzenden Täubchens. Gleich hinter der Tür lagen der alte Solom und zwei Serviermädchen. Sie waren tot.
Georg erholte sich immer noch im Haus von Myles, als zwei Tage später
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