Alanna - Das Lied der Loewin
Zeichen ihrer Treue auf die Stufen zu Jonathans Füßen. »Ich schwöre im Namen der Mutter Euch und Euren Erben mit allem, was ich besitze, zu dienen.« Nun nahm sie das Kästchen in beide Hände und öffnete es. Da lag auf seinem schwarzsamtenen Bett das Juwel. Sie hob es hoch. »Ich bringe Euch die Frucht meiner Reisen, Majestät – das Juwel der Macht.«
Vollkommene Stille senkte sich herab, als Jonathan nach dem Kleinod griff. Sobald er es berührte, erwachte es zum Leben und begann in seiner Hand zu strahlen wie eine kleine Sonne. Er hielt es empor und nun sanken erst einer, dann weitere Höflinge auf die Knie, bis nur noch Jonathan und Thayet saßen.
»Wir danken Euch, Sir Alanna«, sagte er mit einer Stimme, die bis in alle Saalecken schallte. »Und wir preisen die Götter – und unsere Löwin –, dass sie uns in dieser Zeit der Not dieses Juwel schickten.«
7
Zeit der Trauer
Am nächsten Morgen rief Jonathan seine vertrautesten Ratgeber zu einer Sitzung: Myles, Gary, den Obersten Richter, Herzog Gareth, Herzog Baird, Raoul und Alanna. Allana war unbehaglich zumute, doch sie ging trotzdem hin. Sie war sich nicht sicher, was für einen Platz sie bei einer solchen Sitzung einnahm. Sie war Ritterin; alle anderen trugen große Verantwortung oder waren so weise wie Myles. Nicht einmal ein großes Lehnsgut hatte sie vorzuweisen.
Sie kam früh und fand den zukünftigen König in seinem kleinen Ratszimmer vor. Er erhob sich und küsste ihre Wange. »Danke, dass du da bist«, sagte er. »Ich hasse es, dich gleich mit allem zu überfallen, wo du doch gerade erst heimgekehrt bist – aber wir haben viel zu tun.« Als sie ein Stück von ihm entfernt am Tisch Platz nahm, fragte er: »Hast du dir eigentlich Gedanken gemacht, welche Position du während meiner Regentschaft bekleiden willst?«
Alanna war verdutzt. »Welche Position ...?«, wiederholte sie. »Eigentlich habe ich mir nie vorgestellt irgendeine Position zu bekleiden. Obwohl es schön wäre, wenn ich eine Aufgabe hätte. Es gefällt mir, einfach so herumzustreifen, aber noch viel besser gefällt es mir, wenn ich ein Ziel habe.
Vielleicht ist Liam glücklich, wenn er von Land zu Land zieht wie der Wind. Ich komme mir mit meinen Fähigkeiten wie eine Waffe vor, die benutzt werden muss, sonst liegt sie nur herum und rostet.« Plötzlich verlegen geworden, grinste sie. »Hör dir das an. Es fehlt nicht mehr viel und ich klinge wie unser alter Philosophielehrer.«
Jonathan stöhnte. »Dieser Langweiler!«
Gary steckte den Kopf durch die Tür. »Ist das ein privates Treffen, oder kann jeder kommen?« Er nahm sich einen Stuhl und ließ einen Stoß Papiere vor sich auf den Tisch fallen. Als er Alannas entsetzten Blick sah, sagte er freundlich: »Keine Sorge – die sind nicht alle für die Sitzung gedacht. Es sind nur Sachen, mit denen ich ständig zu tun habe, deshalb schlepp ich sie mit mir herum, um keine Zeit zu verlieren.«
»Das ist ja entsetzlich, Gary!«, rief sie.
»Unsinn«, gab Gary zurück. »Vorher hatte ich keine Ahnung, wie interessant es sein kann, was in einem Königreich so vor sich geht. Wenn man Dinge wie die jährliche Regenmenge, die Anzahl der Leute, die ihre Höfe verlassen, und den Preis von Eisenwaren in Beziehung zueinander bringt und sieht, wie sie sich gegenseitig beeinflussen...«
»Wenn du ihn lässt, macht er den ganzen Tag so weiter«, unterbrach Raoul, während er sich auf einen Stuhl niederließ. Der Oberste Richter, den Alanna vom Sehen kannte, setzte sich neben den großen, kräftigen Oberbefehlshaber der Leibwache und nickte zum Gruß. Alanna nickte ebenfalls. Raoul fuhr fort: »Was mich betrifft, ich hab kein Talent für die Verwaltung. Ein gutes Pferd und eine Patrouille sind mir hundertmal lieber!«
»Du unterschätzt dich, Raoul«, sagte Jon. »Die Bazhir
lieben ihn«, erklärte er Alanna. »Außerdem beeindruckt er auch die Leute aus dem Norden und die ausländischen Soldaten, die in der Leibgarde dienen.«
Alanna warf ihrem Freund ein strahlendes Lächeln zu. »Ich wusste doch immer, dass du uns mal Ehre machen würdest«, neckte sie.
Als sie Herzog Gareth an der Tür entdeckte, stand sie auf, um ihn zu begrüßen. Ihre Bestürzung verbarg sie. Der Herzog war schon immer schlank gewesen, aber jetzt war er klapperdürr. Viele graue Strähnen hatten sein Haar zu einem schmutzigen Gelbbraun verfärbt. Ich hab nie glauben können, dass er der ältere Bruder der Königin ist, dachte sie, während sie auf die
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