Alanna - Das Lied der Loewin
begann zu zittern. Das alles war zu viel gewesen für
sie. Sie wollte ins Bett und sie wollte ihren Arm heilen, damit er nicht mehr so pochte. »Warum hackt Ihr denn so auf mir herum? Wenigstens Euch hätte doch klar sein müssen, dass ich ihn nicht töten würde!«
Myles zog sie fest an sich heran, gab aber Acht, ihren verwundeten Arm nicht zu berühren. »Du bist ein guter Junge, Alan von Trebond«, flüsterte er. »Du machst einem alten Mann Hoffnung.«
»Unsinn«, knurrte Alanna. Das unerwartete Lob freute sie, machte sie aber gleichzeitig verlegen. »So alt seid Ihr nicht. Und ich bin kein so guter Junge.«
Herzog Roger ließ sich in den Sessel vor seinem Feuer nieder und nahm von dem Schachspiel, das dort aufgebaut war, eine Figur auf. Es war ein Bauer. Roger lächelte ironisch: Bevor das mit der Schwarzen Stadt geschehen war, hatte er angenommen, Alan von Trebond sei ein Bauer. Ein begabter, athletischer Junge, aber eben doch ein Bauer; ein Bauer, den Roger herumschieben konnte. Die Schwarze Stadt – und der heutige Kampf mit Dain – hatte ihn eines Besseren belehrt.
Alan von Trebond war gefährlich.
Jonathan hätte damals nicht aus der Schwarzen Stadt zurückkommen dürfen. Roger hatte diesen Ort des Bösen gut gekannt und gewusst, dass die dort lebenden Ysandir unbesiegbar waren. Deshalb war er das Risiko eingegangen, mit magischer Überredungskunst auf Jonathan einzuwirken, damit dieser nicht anders konnte, als den verbotenen Platz aufzusuchen. Doch Jonathan hatte Alan mitgenommen und beide waren lebend zurückgekehrt. Den jungen, unerfahrenen Kerlen war es damals nicht nur gelungen, den unsterblichen Ysandir zu entwischen – nein, sie hatten sie sogar vernichtet!
Roger zog eine Grimasse und goss sich ein Glas Wein ein. Zumindest einer der Götter beschützte Jonathan, vielleicht sogar mehrere; da war er ganz sicher. Aber das spielte keine Rolle: auch wenn er Himmel und Erde in Bewegung setzen musste, um den Thron Tortalls zu besteigen, er würde es trotzdem eines Tages tun.
Aber da gab es noch diesen Alan von Trebond! Was wusste er über diesen Jungen? Über was für Kräfte verfügte er?
Während der Zauberer wütend im Zimmer auf und ab stapfte, kam ihm die Schwitzkrankheit in den Sinn. Er hatte eine Krankheit herbeigezaubert, die jeden Heiler erschöpfte, der sie zu bekämpfen suchte, und er hatte sie sowohl in die Stadt als auch in den Palast geschickt, um sicherzustellen, dass alle Heiler im Umkreis zu sehr geschwächt waren, um dem Prinzen zu helfen, als auch dieser schließlich erkrankte. Aber Jonathan hatte überlebt, und der junge Heiler mit den großen violettfarbenen Augen hatte behauptet, es sei Sir Myles gewesen, der ihm gezeigt habe, was zu tun sei. Myles war ein Gelehrter: Möglich, dass er Zaubersprüche beherrschte, die selbst die mächtigsten Zaubereien außer Kraft setzten.
Also hatte er damals Alans Geschichte akzeptiert. Dann hatte er den Jungen weiter befragt; hatte in dessen Gedanken hineingegriffen, um zu sehen, ob er etwas vor ihm verbarg. An diesen Augenblick erinnerte er sich noch heute – er hatte gespürt, dass seine Zauberkraft hinter den unschuldigen Augen des Jungen wie an einer Glaswand abglitt. Wäre er damals auf eine Kraft gestoßen, die sich ihm entgegenstellte, so hätte Roger den Jungen möglicherweise mit richtiger Magie durchforscht. Stattdessen hatte er nur gedacht, die eigenartige Gedankenleere in Alans Kopf sei Dummheit
oder Gedankenlosigkeit. Er hatte den Pagen gehen lassen, ohne weiterzusuchen! Wie dumm er gewesen war!
Und da war das Schwert, dieses abgenutzte und uralte Schwert, das Myles »rein zufällig« in seiner Waffenkammer gefunden und Alan geschenkt hatte. Noch eine Woche nachdem Roger es berührt hatte, war sein Arm gefühllos gewesen. Und der Kater! Wenn Trusty ein normaler Kater war, wollte Roger seinen Zauberstab am Stück verschlucken. Bis jetzt sah es so aus, als wisse Alan nichts vom Wert der Dinge, die er da besaß. Aber von der vermeintlichen Dummheit dieses Jungen hatte sich Roger schon einmal zum Narren halten lassen. Und selbst wenn Alan den Wert dieser Dinge noch nicht kannte, würde sich das sicher irgendwann einmal ändern.
Und heute Abend hatte Alan eine weitere wichtige Eigenschaft gezeigt, mit der er Jonathan dienlich sein konnte: Er hatte gezeigt, dass er ein großartiger Schwertfechter war, der mit der Linken ebenso gut – wenn nicht noch besser – wie mit der Rechten fechten konnte. Roger fluchte erneut
Weitere Kostenlose Bücher