Alarm im Tunnel Transterra
in jenen feinen Rauchfaden verwandelt hatte, war offenbar für die Zerstörung einiger Hemmkreise verantwortlich. Der im Grundprogramm fixierte Selbst-erhaltungstrieb trat mit uneingeschränkter animalischer Intensität zutage.
Ja, das war es! Der Merkurid fühlte sich durch mich bedroht.
Die Hemmkreise, die zerstörerische Aktivitäten gegen Menschen und wichtige technische Aggregate unterbinden, waren zerstört. Sie verhindern nicht nur Angriffe auf Menschen, sondern auch, daß sich zum Beispiel ein in einem Triebwerksblock eingeklemmter Reparaturroboter mit seinen Schneid-brennern aus der für ihn zweifellos gefährlichen Lage befreit und damit für die Menschen eine noch gefährlichere Situation schafft. Eine bei selbstprogrammierenden Systemen unumgängliche Schutzmaßnahme.
Ich rekapitulierte: Der Merkurid war beschädigt. Dummer-weise hatte auch das Hemmungszentrum gelitten. Er hatte, seinem Grundprogramm gehorchend, beschlossen, den Schaden selbst zu beheben, und war in den Automatenbunker eingedrungen, um sich Ersatzteile zu beschaffen. Dort fühlte er sich durch mich bei der Wiederherstellung seines Gehirns behindert und wollte das Hindernis aus dem Weg räumen.
Seltsam, daß beim Versagen gewisser Hemmungen sogar Roboter tierische Verhaltensweisen zeigen. Das Grundprogramm war wohl zu sehr an seinem menschlichen Vorbild orientiert.
Oder war es einer der häufiger auftretenden Fälle adaptiver Identifikation bei Selbstprogrammierern? Der Umgang mit Leo! Der Mechaniker war ein sehr egoistischer und obendrein ungenießbarer Geselle. Jähzornig, plump, brutal und faul.
Offenbar hatte der Merkurid mehr als nur die Stimme seines Herrn kopiert. Ich hatte einmal beobachtet, wie Leo einen Arcomaten mit dem Vierundzwanzigerschlüssel bearbeitete, weil der ihm seine n abgeschraubten Kopf auf das Päckchen mit den Frühstücksbroten gelegt hatte.
Ich blickte hinunter und überlegte, ob ich springen sollte.
Nach unten klettern wäre eine Wahnsinnstat. Der jagdbesesse-ne Merkurid wäre dreimal so schnell unten und würde mich mit zurückgebogenen Klauenarmen empfangen. Aber dreieinhalb Meter in die Tiefe springen? Das Risiko war mir zu hoch.
Unglücklicherweise war ich auf der niedrigsten Truhe weit und breit gelandet, so daß ich die Distanz zwischen mir und dem blutrünstigen Roboter nicht durch einen zweiten Satz in der Horizontalen vergrößern konnte. Unmöglich, eine der höher gelegenen Plattformen zu erreichen. Ich mußte wohl doch Spinks rufen, wenn mir nicht eine geniale Eingebung aus der Patsche half.
Die Eingebung hatte der Roboter, dessen angeknacktes Gehirn sich wieder als effektiver erwies. Der Merkurid begann sich mit den Manipulatoren die linke Klaue abzuschrauben.
Was sollte das? Hatte sich seine Mordwut durch einen weiteren Kurzschluß in einen Selbstverstümmelungstrieb verwandelt?
Während dieser unverständlichen Handlung ließ er mich nicht aus den Augen. Ich konnte nichts weiter tun, als voll heiml icher Schadenfreude den Kopf zu schütteln und der weiteren Entwicklung der Dinge zu harren.
Sie entwickelten sich auf verblüffe nd einfache Art und Weise. Plötzlich zischte ein schwarzer Schatten durch die Luft, schmetterte gegen meine rechte Schulter und malte mir weiße blitzende Pünktchen in die Augen, die von außen träge in das Blickfeld hineinschwammen und dort wie Seifenblasen zerplatzten. Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, stellte ich als erstes fest, daß sich mein Schwerpunkt um einen guten Meter nach unten verlagert hatte. Ich saß halb auf der hinteren Kante des Plateaus, und es war ein Wunder, daß ich überhaupt noch so weit oben saß, statt mit zerschmettertem Schädel zwischen den Kabelschlangen zu liegen.
Daß dich der elektrische Schlag treffe, Bestie! Vor mir lag die abgeschraubte Klaue. Eine vortreffliche Waffe, ein kantiges, schweres, tödliches Wurfgeschoß. Der Merkurid betrachtete – voll Genugtuung, wie mir schien – die Wirkung seines Angriffs. Als er sah, wie ich mich bewegte, schraubte er die zweite Klaue ab. Irgendwie mußte er ahnen, daß ich meinen Quadratmeter nicht verlassen konnte, ohne ihm in die Klauen zu fallen. Besser gesagt, in die Manipulatoren, denn von den Klauen gedachte er sich ja zu trennen.
Er ließ sich mit der Überheblichkeit des Überlegenen Zeit.
Später erkannte ich, daß es einfach eine Frage der Logik war.
Eile war unnötig, warum sollte er also einen in der Hast began-genen Fehler riskieren?
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