Alarmstufe Blond
der Schmerztabletten eingeworfen, es können auch drei gewesen sein), dauerte es nicht lange und ich lag in seinen Armen und strich über seinen gut durchtrainierten Bizeps und die straffen Schultern.
Als es später dunkel wurde, saßen wir sogar in der Ecke und kuschelten uns aneinander. Er saß hinter mir und hielt mich an Bauch und Taille umfangen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es wirklich anfing, aber ich glaube, es war eine Cocktailkirsche, die mir der Gastgeber in meinen Orangensaft getan hatte, und die ich mir in den Mund stecken wollte, doch daran gehindert wurde, weil Carl sie mit seinen Lippen auffing. Er wollte sie nicht aufgeben, ich wollte sie ebenfalls nicht verlieren, schließlich knabberten wir beide daran, Mund an Mund, und irgendwann war sie verschwunden, aber unsere Münder klebten immer noch aneinander.
Und in diesem Moment wusste ich es. Als ich Carl schmeckte, kam plötzlich die Erinnerung an den Kuss von Leonard zurück. Ich konnte ihn noch spüren, seinen Mund, der so frisch und männlich geschmeckt hatte, seine sanften Lippen, sein Atem, seine Hand, wie sie meine Wange streichelte.
Ich hatte es nicht geträumt, dafür war die Erinnerung zu lebendig. Es war wirklich passiert.
Schlagartig zog ich meinen Mund zurück.
»Es tut mir leid«, stammelte ich und sprang auf.
»Was ist los?« Carl wollte mich festhalten, doch ich löste mich von ihm.
Ich wollte ihm nicht wehtun, deshalb log ich. »Es geht mir noch immer nicht so gut, ich glaube, ich muss ins Bett.«
Er verzog das Gesicht, stimmte aber zu.
»Ich bringe dich nach Hause«, bot er an. Doch ich lehnte ab. Es war zwar ein weiter Fußmarsch mitten in der Nacht nach Hause, aber ich musste jetzt unbedingt ein bisschen allein sein.
Er protestierte, doch ich setzte mich schließlich durch. Es geht doch nichts über das Argument, mehr Freiraum zu benötigen. Selbst Carl verstand es.
***
Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass mir die Füße entsetzlich wehtaten, als ich in Frankenstein ankam. Und dass meine Gedanken förmlich glühten, so schnell hatten sie sich im Kreise gedreht. Zu einem Ergebnis war ich dennoch nicht gekommen. Ich weiß auch nicht, welche Lösung ich mir von meinem Gedankenkarussell überhaupt erhofft hatte. Ich hatte den Arzt geküsst, er hatte mich zurückgeküsst, das war alles. An unser Gespräch konnte ich mich nur bruchstückhaft erinnern, dass ich ihm gesagt hatte, ich fände ihn attraktiv, und er zugab, dass ich ihm den Kopf verdreht hatte. Aber warum hatte er mich dann heute nicht besucht? Oder wenigstens angerufen? Wieso hatte er mir nicht von Anfang an gesagt, dass er nicht verheiratet war? Warum hatte er mich nicht zu einem Date eingeladen?
Es gab noch so viele offene Fragen, auf die ich bei meinem Spaziergang mitten in der Nacht keine Antwort fand. Vor allem, da nur er sie geben konnte. Aber ob ich jemals den Mut hatte, ihn danach zu fragen, das stand auf einem anderen Blatt.
Das Dorf schien tief und fest zu schlafen, als ich die Dorfstraße hinunterlief, nur einen Igel hörte ich rascheln und ein Käuzchen rufen. An die Stille hatte ich mich inzwischen gewöhnt, auch an die Luft und den klaren Sternenhimmel, den man hier zu sehen bekam und den ich bisher nur aus dem Planetarium kannte.
»Was macht denn eine junge Frau so spät noch auf den Beinen?«, riss mich plötzlich eine bekannte Stimme aus meinen Betrachtungen. Ich machte einen Sprung zur Seite, so erschrocken war ich, fing mich aber sofort, als ich erkannte, dass es Albert, mein Nachbar war. Er stand auf seinem Grundstück und lugte über den Gartenzaun.
»Ich war auf einer Party und bin zu Fuß nach Hause.«
»Gab es Ärger? Oder hast du Liebeskummer? Sonst läuft ein so hübsches Mädchen wie du doch nicht alleine so eine weite Strecke.«
Er hatte Recht. »Naja, eigentlich ist es weder das eine noch das andere, aber irgendwie doch.« Ich klang, als hätte ich noch zu viel Wodka im Blut. Aber das konnte nicht sein. Ich war nur mächtig verwirrt.
»Welcher der Jungs ist es denn? Dann mach ich ihn fertig!« Er boxte mit der alten, gebrechlichen Faust seiner rechten in die linke Hand.
Ich musste schmunzeln. »Sie sind beide nett und können nichts dafür, es ist allein meine Schuld.«
»Das glaube ich nicht.«
Vielleicht hatte er auch damit Recht. Ganz unschuldig waren wir alle nicht. Der Doktor hatte zu diesem Elend sein Scherflein mit beigesteuert. Und Carl auch.
»Ich habe mich in den einen verliebt, obwohl der mich
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