Alarmstufe Blond
aber ja, er war toll«, schluchzte Emma-Louise, dann löste sie sich wieder von mir. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Gern geschehen.«
»Aber vielleicht ziehst du dir was anderes an«, schniefte sie schließlich.
Ich sah an mir herunter. Sie hatte Recht, ich bot keinen schönen oder wenigstens der Situation entsprechenden Anblick.
»Albert würde es nicht stören«, erwiderte ich. »Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er einen so nahm, wie man war. Ich habe ihn zwar nur kurz gekannt, aber ich habe ihn gemocht.«
Ich hatte ihn wirklich gemocht, so sehr, dass ich ihm sogar mein Geheimnis in Sachen Männer anvertraut hatte. Das wurde mir erst jetzt bewusst.
»Nein, ihn würde es nicht stören, ihn nicht.« Sie schniefte wieder, versuchte dabei jedoch ein Lächeln. »Es hat ihn auch nicht gestört, dass ich eine völlige Niete in meiner Ehe war. Er hat immer geglaubt, ich würde wieder mit meinem Mann zusammenkommen, bis der eines Tages tot war. Prostata-Krebs.«
Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Bei Emma-Louise und ihrem Mann war es wirklich vorbei.
»Ich habe gestern Nacht noch mit ihm gesprochen«, gestand ich. »Er stand im Garten, als ich nach Hause kam. Wahrscheinlich war ich die Letzte, die ihn lebend gesehen hat.«
»Wahrscheinlich«, schluchzte sie. »Er konnte nachts oft nicht schlafen, da ist er im Garten spazieren gegangen. Jetzt schläft er für immer.« Sie weinte erneut und wischte sich die Tränen weg.
Ich wiegte sie in meinen Armen, bis sie sich die Nase schnäuzte und mich aus verquollenen Augen schief ansah. »Jetzt solltest du dir aber wirklich was Richtiges anziehen. Dein Anblick irritiert mich. Ich bin nicht so tolerant wie mein Vater.«
Ich nickte gehorsam und machte auf dem Absatz kehrt. Als ich in den Flur einbiegen wollte, kollidierte ich mit Leo, Doktor Diercksen. Er hatte seine Tasche gepackt und wollte noch einmal nach der Trauernden sehen.
»Oh«, sagte ich, »Entschuldigung«, und blieb wie angewurzelt vor ihm stehen.
Er hielt ebenfalls inne. »Entschuldigung.«
Peinlicher Moment.
Wir hatten uns seit der Nacht in meinem Haus und dem Kuss nicht mehr gesehen, von dem Moment bei meinem Eintreffen mal abgesehen, und ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Er offenbar auch nicht.
Schließlich deutete er mit der Hand in die Küche. »Ich… ich muss da mal rein.«
»Ja, natürlich«, sagte ich und wich zur Seite, damit er passieren konnte. Er schritt an mir vorbei, wobei er mir ein kurzes »Bis bald« zuwarf.
»Ja, bis bald«, erwiderte ich und ging zur Haustür, wobei ich bemerkte, dass mir das Blut ins Gesicht geschossen war und mein Kopf glühte, als hätte ich einen neuen Fieberschub bekommen.
Bis bald? Was sollte das denn bedeuten? So viel wie: Man sieht sich? Belangloser ging es ja kaum noch.
Und wieso hatte er sonst nichts weiter gesagt? Wir hatten uns geküsst! Und er lächelte nicht, sagte nichts, meldete sich nicht.
Das konnte nur eines bedeuten: Es war ihm peinlich. Er wollte nichts mit mir zu tun haben.
Ich spürte einen schmerzhaften Stich in meinem Herzen. Jetzt war es eindeutig. Wieso hatte ich nur geglaubt, er würde sich für mich interessieren? Wahrscheinlich hatte er mich nur zurückgeküsst, weil ich krank war und mich ihm an den Hals geworfen hatte. Er hegte keinerlei Interesse an mir, von Anfang an nicht. Deshalb hatte er auch keine Versuche unternommen, mich näher kennenzulernen. Und mir zu helfen, war er lediglich durch seinen Eid als Arzt verpflichtet. Mehr steckte nicht dahinter. Vielleicht gehörte es zu den Aufgaben eines Landarztes, Frauen aus der Polizeistation abzuholen, wenn sie eine Platzwunde hatten. Was weiß ich denn von den Gepflogenheiten auf dem Lande? Nichts! Rein gar nichts.
Wütend auf mich und die Welt stapfte ich hinüber in das Haus und riss mir den Schlafanzug vom Körper. Dann duschte ich lange und ausgiebig in der altmodischen Badewanne, bevor ich meinen alten Bikini aus dem Koffer holte und ihn anzog.
Meine Wunde am Gesäß war schon viel besser, ich konnte sie guten Gewissens der Sonne und dem Seewasser aussetzen. Denn ich musste unbedingt raus. Ich wollte allein und weit weg von allen Problemen sein, dem Tod, meinen unglücklichen Liebschaften und dem Dorfleben, das mich immer mehr vereinnahmte. In der Stadt hätte ich mich jetzt in das Straßengewühl geworfen, um in der Anonymität der Masse unterzugehen, doch hier musste ich mich noch tiefer in die Einsamkeit verkriechen. Dabei schien mir der See mit
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