Alasea 01 - Das Buch des Feuers
nur blinde Wut. Sie schob sich vor Krals mächtige Gestalt, entschlossen, als Erste zu sehen, ob Krals Axt vonnöten wäre. Leichtfüßig und lautlos lief sie über die herabgefallenen Blätter und Zweige. Die Waldpfade waren Teil ihrer Natur. Hinter sich hörte sie Krals zorniges Flüstern.
Ein flüchtiges Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den letzten Baum erreichte und sah, wer und was Licht in diesen dunklen Wald gebracht hatte. Nein! Eine Eingebung des Instinkts überwog das Gefühl ihres Herzens, als der Dolch aus der Scheide am Handgelenk wieder in ihre Hand glitt. Sie stürzte in den Lichtkreis.
Der große, schlanke Mann, doppelt so hoch gewachsen wie Ni’lahn, doch nur von der Hälfte ihres Gewichts und bekleidet mit einem dünnen weißen Hemd, das in eine gebauschte grüne Hose gesteckt war, drehte den langen, dünnen Hals, um sie anzusehen. Er stand in einem Ring aus Pilzen, einen Arm hoch erhoben, auf der Hand die Quelle des Lichts: Ein Vogel hockte auf dem Handgelenk; sein Gefieder verströmte ein helles blaues Licht. Erschreckt schlug er zweimal mit den Flügeln, und das Licht leuchtete noch heller auf. Ein Mondfalke!
Der Falke öffnete den Schnabel und schrie.
»Nein, Ni’lahn!« rief Kral hinter ihr, als sie mit hoch erhobenem Dolch vorwärts stürmte.
Sie beachtete ihn nicht, und ein Wutschrei sprang ihr von den Lippen.
Der Elv’e musste sterben!
Er’ril schob Elena hinter sich und zog sein Schwert. Er blickte in den dunklen Gang. Zischende schwarze Schemen huschten auf ihn zu. Bol stand bei dem Mädchen und hielt die Laterne hoch, in deren Licht die drei wie auf einer Insel aus Helligkeit standen. Angesichts des Abgrunds hinter ihnen hätte ein Rückzug lediglich eine andere Todesart für sie bedeutet.
»Ich verstehe das nicht«, murmelte Bol hinter ihm. »Die wenigen Male, da ich auf die Spuren von Felskobolden stieß, brauchte ich einfach nur wegzulaufen. Sie haben mich nie verfolgt.«
»Vielleicht sind sie kühner geworden«, gab Er’ril zu bedenken. Er sah, wie einige der Schemen näher zum Rand des Lichtscheins huschten. Die Helligkeit der Laterne hielt sie offenbar wie ein magischer Schutzschild zurück.
Eines der schattenhaften Geschöpfe brach jedoch aus den Reihen der anderen aus und tappte schwerfällig vorwärts. Es stand ganz dicht am Rand des Lichtscheins, ohne vollends aus der Dunkelheit herauszutreten. Die Spiegelung des Laternenscheins blitzte in roten Augen und auf nadelspitzen Zähnen. Er’ril merkte, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken bei diesem Anblick aufstellten. Diese Erscheinung rief ihm die Schreckgespenster seiner Kindheit ins Gedächtnis, als man sich die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen hatte, wenn es zu mitternächtlicher Stunde im Haus knirschte und quietschte.
»Sie werden sich nicht mehr lange zurückhalten«, sagte Er’ril. »Hast du eine Waffe, Bol?«
»Nein, nur das Licht.« Der Alte trat vor und schwenkte die Laterne über dem Kopf.
Die plötzliche Bewegung des Lichts erfasste den kühneren Kobold unvorbereitet. Er stand da, voll dem hellen Licht ausgesetzt, nicht größer als ein Ziegenbock. Seine Haut, die in der Dunkelheit schwarz gewirkt hatte, entpuppte sich als schuppiges Weiß, wie der Unterbauch eines toten Fischs. Seine Oberfläche war mit einer schmutzigen Fettschicht überzogen. Riesige rote Augen starrten die Gefährten an, ohne zu blinzeln. Der Kobold zischte und entblößte die Fangzähne einer Giftnatter. Sein Schwanz, an dessen Spitze ein einzelnes schwarzes Horn schwang, peitschte hinter dem Körper hervor, um sich bedrohlich zu schlängeln und zu winden.
Er’ril verzog das Gesicht, nicht wegen des einzelnen Untiers, das sich da im Laternenschein wand, sondern wegen der vielen anderen Wesen, die das Licht sonst noch enthüllte. In dem Gang vor ihnen wimmelte es von geduckten, herumhuschenden Gestalten. Selbst die Wände und die Decke waren dicht bedeckt mit Kobolden, die mit ihren Klauen an dem bröckelnden Mauerwerk hingen.
Der einzelne Kobold, der sich zu ihnen vorgewagt hatte, sprang zurück in den Schatten. Die Meute seiner Artgenossen wich ebenfalls vor dem Licht zurück, ohne jedoch ganz zu verschwinden.
»Was sagst du dazu?« wandte sich Er’ril an Bol. »Mein Schwert allein kann keine Schneise in diese Masse schneiden. Wie wär’s mit Hexenmagik?« Er’ril zwang sich, das Mädchen nicht anzusehen, das sich ängstlich hinter Bol versteckte.
»Nein, Elenas Kraft ist fürs Erste versiegt. Es
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