Alasea 01 - Das Buch des Feuers
gewesen war, da sie gelernt hatte, dass die Welt das wahre Ich eines Menschen nicht sehen wollte. Sie schob ihre Hemmungen beiseite und breitete die Arme weit aus, sowohl die Höhlenkammer als auch die Welt umfassend. Sie offenbarte sich ohne Scham und ohne Reue. Sowohl diejenige, die sie gewesen war, als auch diejenige, die sie jetzt war - aber vor allem diejenige, die sie einmal sein würde!
Wie ein Fenster, das zur Sonne geöffnet wird, erstrahlte ihre Magik und vertrieb alle Schatten aus dem Raum.
Als er sah, wie Elena mit Macht versehen erwachte, war Er’rils erste Eingebung, das Schwert Bols erstarrten Händen zu entreißen und ihr die Klinge durchs Herz zu stoßen. Doch da er das Schwert tatsächlich in der Hand hielt, kämpfte er gegen den tödlichen Drang an; seine Knöchel umspannten weiß den Griff der Waffe. Selbst Bol trat einen Schritt von Elena zurück. Der Mund des alten Mannes klaffte vor Staunen auf, das Licht zeichnete tiefe Furchen in sein Gesicht.
Welch eine Macht!, dachte Er’ril. Sie übertraf bei weitem seine Vorstellung. Selbst ein Magiker, bei dem die Chi-Kraft gerade erst erneuert worden war, leuchtete nicht so strahlend hell. Elena stand da mit weit ausgebreiteten Armen, ihr Körper schien zu bersten im gleißenden Licht. Die drei Menschen warfen nicht einmal Schatten - vielmehr schien sich das Licht um sie herum zu krümmen und alles einzuschließen.
Doch das Mädchen in dem Licht erschreckte Er’ril auch. Es war nun kein Kind mehr, das sich an die anderen klammerte, verwirrt und ängstlich angesichts seiner Macht. Ein Selbstvertrauen leuchtete aus Elenas Gesicht und ihrem Körper, das ihr inneres Licht fast übertraf. Die Befreiung ihrer Magik hatte sie in einen Zustand versetzt, in dem es keine Furcht und keine Zweifel mehr gab. Dies war nicht das Gesicht eines Kindes oder einer jungen Frau, sondern eines Wesens, das einer Göttin glich. Er’ril bemerkte Funken erhöhter Strahlung in einem Lichtschein um ihren Körper herum, als ob die Sterne persönlich darum kämpften, ihr nahe zu sein.
So wundersam die ganze Erscheinung auch war, wurden Er’rils Blicke doch vor allem von Elenas Gesicht angezogen. Ihre Lippen, voll und leicht geöffnet, lächelten angesichts von Visionen, die Er’ril verborgen blieben. In diesem Lächeln sah Er’ril die Frau, die sie einst einmal sein würde: eine kluge, starke Frau, die kein Mann beherrschen konnte. Während er sie anstarrte, schlug sein Herz immer schneller. Etwas rührte sich in seiner Brust, ein Gefühl, das er längst für tot gehalten hatte: Hoffnung.
In diesem Augenblick schlurfte ein Kobold auf Er’ril zu, die Augen starr auf Elena gerichtet, und prallte ihm gegen das Bein. Er klammerte sich an Er’ril fest wie ein Schiff auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Bevor der Schwertkämpfer ihn wegschlagen konnte, löste der Kobold den Griff und taumelte auf das Mädchen zu. Er’ril hatte die Absicht, mit dem Schwert auszuholen und ihn aufzuhalten, doch plötzlich stürzte der Kobold und schlug mit dem Gesicht flach auf dem Boden auf. Seine winzige Gestalt zitterte, dann blieb er reglos liegen - allzu reglos. Tot, dachte Er’ril.
Er riss den Blick von dem Mädchen los und sah, dass der Boden der Kammer bedeckt war von zusammengesunkenen Kobolden. Auch andere Felskobolde wurden von dem Licht angezogen. Wie blinde Motten taumelten sie aus den Tunneln in die Helligkeit der Kammer; doch nach wenigen Stolperschritten verließen sie die Kräfte, und sie fielen schreiend als wirre Bündel von Gliedmaßen zu Boden. Andere zogen ihre Lehre aus dem Geschehen und flohen vor dem Licht, verschwanden in den Tunneln.
»Das Licht«, sagte Bol ganz in der Nähe. »Es vernichtet sie. Bewirkt Elena das?«
Er’ril merkte, dass er unbedingt sprechen musste, um sich von dem Kind abzulenken. »Das glaube ich nicht. Das Licht ist lediglich eine Spiegelung ihrer Magik. Es ist keine Kraft, die Schaden anrichtet.«
»Kobolde scheuen das Licht.« Bol vollführte eine weit reichende Geste über die verendeten Kobolde hinweg. »Vielleicht aus einem guten Grund. Vielleicht ist Licht von Natur aus schädlich für sie. So viel Licht, so viel Kraft bedeuten für sie offenbar den sicheren Tod.«
Er’rils Blick wurde wieder von dem Mädchen angezogen. Das Gespräch musste den Lichtschein, der Elena umgab, durchdrungen und ihre Ohren erreicht haben. Ihre Lippen lächelten nicht mehr.
Elena hatte ihren Onkel sprechen hören. Obwohl seine Worte ihr
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