Alasea 01 - Das Buch des Feuers
erschienen wie Vögel, die aus tiefstem Wald herangeflogen kamen, begriff sie doch deren Bedeutung. Sie kehrte in die Wirklichkeit zurück und entdeckte die Kobolde, die um sie herum mit unnatürlich verdrehten Hälsen und Gliedmaßen angehäuft lagen. Es waren so viele! Sie hatte hunderte dieser armen Geschöpfe umgebracht! Sie stieß einen Schrei aus, und das Licht, das von ihr ausstrahlte, prallte gegen den Stein und verschwand. Sie stand zitternd da - eine Insel in einem dunklen Meer toter Kobolde.
Jetzt erhellte Onkel Bols Laterne die Kammer. Er kam zu ihr und brachte Licht. Sie wich vor der Helligkeit zurück. Das innere Licht, der Kern ihres wahren Ichs, hatte getötet; jetzt klagte sie dieses bisschen irdische Helligkeit ihrer bösen Tat wegen an. Elena huschte aus dem Schein der Laterne und trat zu dem Schwertkämpfer. »Du hast gesagt, es schadet ihnen nicht!« schrie sie mit einer Stimme, die eine Flut von Tränen auszulösen drohte.
Ihre Worte verletzten ihn. Seine Augenlider zuckten, und seine Lippen kräuselten sich. »Es tut mir Leid, Elena. Ich habe die Natur dieser Geschöpfe nicht richtig begriffen - und auch nicht die Leuchtkraft deiner Magik.«
Sie hielt sich die Hand vor den Mund. Die Leuchtkraft ihrer Magik! Seine Worte sickerten in sie ein. Die Kobolde hatten ihnen nichts zuleide getan, außer dass sie ein wenig herumgelärmt hatten, und außerdem hatten sie bei der Wiederbeschaffung des Schlüssels für Er’ril eine wichtige Rolle gespielt. Als Dank dafür hatte sie ihnen den Tod gebracht. Ihre Augen entdeckten viele kleinere Gestalten, die zwischen den größeren Kobolden eingeklemmt lagen. Sie hatte sogar ihre Kinder umgebracht!
Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. Sie wollte nichts mehr davon sehen.
Onkel Bol legte ihr die Hand auf die Schulter. »Du kannst nichts dafür, mein Schatz. Wir wussten das nicht. Wenn irgendjemand die Schuld trägt, dann sind wir es. Wir waren diejenigen, die dich gedrängt haben, es zu tun.«
Sie entwand sich seinem Griff und nahm die Hände vom Gesicht, um ihn anzusehen. »Du begreifst nicht!«
Die Augen ihres Onkels weiteten sich.
Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Ich genieße die Macht! Ich habe mich noch nie so vollkommen und frei gefühlt. Ich habe mich meiner Magik mit Freuden hingegeben, habe sie durch mich hindurchströmen lassen und alle Zweifel weggestoßen. Und während ich dieses Licht umarmt und mich in seinem Glanz gesonnt habe, wurden diese Wesen umgebracht.«
»Schatz, ist ja schon gut. Du hast es nicht gewusst.«
Sie drehte ihrem Onkel den Rücken zu. Nicht nur, weil seine Worte ihr keinerlei Trost spendeten, sondern auch, weil sie Angst hatte, er könnte die Wahrheit in ihren Augen sehen. Sie hatte bereits zu viel gesagt. Schluchzend fiel sie auf die Knie.
Was sie ihrem Onkel nicht verraten hatte und was sie sich selbst kaum einzugestehen wagte, war die Tatsache, dass sie es sehr wohl gewusst hatte. Irgendwo tief im Innern ihres Wesens hatte sie den Tod um sich herum gespürt, hatte gespürt, wie das Leben der Kobolde wie ausgeblasene Kerzen verpuffte. Und sie hatte sich nicht darum gekümmert, konnte sich nicht darum kümmern. Sie hatte keine Notiz davon genommen, dass zu ihren Füßen Körper zusammenbrachen, während die Magik in ihr schrie. Ihr Herz jubelte, weil es befreit wurde, weil die Kraft in die Welt hinausfloss. Das Lied der Macht hallte so laut in ihren Ohren, dass es die Schreie der sterbenden Kobolde übertönte.
Er’ril kam und half ihr auf die Beine. Er musste spüren, welche Gefühle in ihr tobten. »Rohe Magik ist verführerisch«, sagte er. »Lass dich nicht davon narren.«
Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, aber sein Arm war stark. Er senkte den Kopf, sodass er ihr direkt in die Augen sah. Sein Ton klang leidenschaftlich. »Du bist immer noch Elena. Lass dich nicht von deiner Magik bestimmen. Sie ist nur ein Werkzeug.« Dann sprach er nur noch flüsternd: »Sie spricht mit ihrer eigenen Stimme. Ich weiß, dass diese Stimme manchmal schwer zu überhören ist und einem wie die der eigenen Seele erscheint - aber du brauchst nicht zuzuhören. Du bist immer noch Elena: Tochter deiner Eltern, Schwester deines Bruders, Nichte deines Onkels. Du bist Blut, nicht Magik.«
Sie nickte. Seine Worte verliehen ihren Beinen Kraft. Sie fügte sich, als er sie zu Onkel Bol führte, in dessen Augen Besorgnis schimmerte, und ließ es geschehen, dass dieser sie in die Arme schloss. Sie schluchzte an seiner Brust, doch
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