Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Stimme ihm von hinten zu: »Dismarum! Warte, Alter!« Es war Rockenheim.
Dismarum drehte sich zu dem Mann um. Rockenheim hatte sich umgezogen; statt seiner versengten Reitkleidung trug er nun die Farben der Garnison, Rot und Schwarz. Seine auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefel reichten bis zu den Knien, und seine rote Jacke war mit Messinghaken und -knöpfen verziert. Er hatte seinen Schnauzbart gewichst und sich endlich den Ruß aus dem Gesicht gewaschen, doch als er über den steingefliesten Boden heranstolzierte, roch Dismarums empfindliche Nase immer noch den Rauch an ihm.
Rockenheim blieb vor dem Seher stehen. »Es kann sein, dass wir zu viele Patrouillen draußen haben«, sagte er.
»Und warum das?« fragte Dismarum verunsichert; er fühlte sich immer noch sehr unbehaglich wegen des Skal’tums.
»Mit so viel Getue erschrecken wir den Jungen und das Mädchen vielleicht so sehr, dass sie aus der Stadt verschwinden.« Rockenheim deutete zur Tür. »Man kann keine zwei Schritte weit gehen, ohne auf einen Bewaffneten zu stoßen. Ich selbst hätte Angst, diese Stadt zu betreten.«
Der Seher nickte und rieb sich die Augen. Vielleicht hatte der törichte Kerl Recht. Wäre er nicht so erschöpft gewesen, wäre er vielleicht zu derselben Ansicht gelangt. »Was schlägst du vor?«
»Den Rückzug der Soldaten. Ich habe die Kunde verbreitet. Die Leute sind entbrannt. Sie übernehmen das Jagen für uns.«
Dismarum lehnte sich schwer auf seinen Stab. »Sie darf unserem Zugriff auf keinen Fall entkommen.«
»Sobald sie sich in der Stadt blicken lässt, wird sie geschnappt. Das Feuer und das Gerede über Dämonen haben die Stadtbewohner aufgeschreckt. Jede Straße wird von hundert Augen beobachtet.«
»Also Schluss mit dem Jagen.« Dismarum wandte sich ab. »Wir warten einfach, bis sie zu uns kommt.« Er humpelte über die Fliesen und stellte sich vor, wie das Skal’tum in der Trostlosigkeit der Zellen kauerte wie ein hungernder Hund, der auf seinen Knochen wartet. Der Gedanke, seine Gier auszunützen, um den Herrn, dem es diente, zu betrügen, entsprang dem Gehirn eines Wahnsinnigen.
Aber Dismarum wartete schon so lange.
11
Über die Baumwipfel hinweg erspähte Elena das rote Dach der Stadtmühle. Inzwischen hatten sie das Feuer weit hinter sich gelassen, doch der Rauch am morgendlichen Himmel trieb sie und ihren Bruder immer noch vor sich her. Der Anblick des steilen Daches weckte in Elena erneute Entschlossenheit und beschleunigte ihre Schritte. Sie holte Joach ein, der die unwillige Nebelbraut an der Zügelleine zog.
»Gleich sind wir da«, sagte Joach.
»Und was ist, wenn Tante Fila nicht in der Bäckerei ist?«
»Sie ist immer dort, El. Keine Angst.«
Die beiden hatten beschlossen, dass sie ihre verwitwete Tante aufsuchen wollten, die die Bäckerei von Winterberg besaß und betrieb. Die Schwester ihrer Mutter war eine resolute Frau mit einem eisernen Rückgrat. Sie wusste sich bestimmt einen Reim auf die Schrecknisse der vergangenen Nacht zu machen.
Als Elena ihrem Bruder um die Biegung des Flusses folgte, kam die Mühle zur Gänze in Sicht. Ihre Außenmauern aus rotem Backstein mit den kleinen Fenstern waren ein beruhigender Anblick. Elena war häufig im Auftrag ihrer Mutter hier gewesen, um einen Sack Mehl zu kaufen oder gegen Naturalien zu tauschen. Das große Schaufelrad drehte sich behäbig in der tiefen silbernen Strömung, an einer Stelle, an der der Fluss eine kleine Stufe hinabstürzte. Gleich hinter der Mühle führte eine steinerne Brücke über den Fluss Tausendkrumm und verband die Straße durch die Stadt mit den Fahrwegen hinauf ins spärlich besiedelte Hochland.
Joach streckte eine Hand aus, um Elena daran zu hindern, aus dem Schutz der Bäume hervorzutreten. »Lass mich erst nachsehen, ob jemand bei der Mühle ist. Bleib du so lange versteckt.«
Elena nickte und schob Nebelbraut mit leichtem Druck gegen die Nase ein paar Schritte zurück. Die Stute schüttelte protestierend die Mähne und stampfte mit einem Huf auf den Boden. Elena wusste, dass das Tier es kaum erwarten konnte, auf die Wiese hinauszutreten, die in saftigem Grün stand. »Geduld, Süße.« Elena kraulte Nebelbraut hinter dem Ohr. Ihre geflüsterten Beschwichtigungen beruhigten das aufgeregte Pferd, nicht jedoch sie selbst.
Sie sah Joach nach, der verstohlen über die freie Fläche zum Eingang der Mühle huschte. Er machte sich an dem Eisenriegel zu schaffen. Sie sah, wie er daran zog. Die Tür war
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