Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Eigenarten. Der Dunkelmagiker würde schlafen, bis das Licht der Sonne den Fensterschlitz ihres Raumes erreicht hätte. Dann würde er, wie von den Toten auferstanden, aufwachen und Joach befehlen, ihm die Morgenmahlzeit zu holen.
An diesem Tag hatte Joach nicht die Geduld, auf die Sonne zu warten. Er konnte es kaum erwarten, wieder zur Treppe im Ostturm zu gehen, um nach Hinweisen auf die beiden Männer zu suchen. Doch er wusste, er durfte sich nicht von dem Bett entfernen, bevor er den entsprechenden Befehl erhielt. Die Augen des Dunkelmagikers würden ihn sehen.
Derart gefangen, starrte er wieder zur Decke hinauf. Lautlos formten seine Lippen das Wort, das im Schlummer an ihm genagt hatte.
Rag … nar’k.
Als sein Mund die letzte Silbe bildete, fuhr Greschym senkrecht im Bett auf, als ob das lautlose Wort sich in seinen Schlaf gebohrt hätte. Zur Verstärkung dieses Eindrucks wandte sich das uralte Gesicht zu Joach hin. Zum ersten Mal sah dieser so etwas wie Verwirrung und Angst in den zerknitterten Zügen.
Joach behielt sein leeres Starren bei und betete im Stillen, dass der Blick des Magikers sich von ihm abwenden würde. Er musste sich etwas einfallen lassen, um den Magiker von seiner uneingeschränkten Sklaventreue zu überzeugen, etwas, um diese eindringlichen Augen abzulenken. Ein Brennen in Joachs Bauch erinnerte ihn an eine Möglichkeit, wie er dies erreichen könnte, eine Möglichkeit, sich selbst auf eine Weise zu erniedrigen, dass der Dunkelmagiker seinen Mangel an Willensstärke niemals infrage stellen würde. Scheinbar stumpfsinnig auf seiner Pritsche liegend, entleerte Joach die Blase, sodass er seine Kleidung und sein Bett mit Urin durchtränkte. Ein beißender Gestank entströmte den beschmutzten Laken und erfüllte die winzige Zelle. Joach lag immer noch still da, reglos in der sich ausbreitenden Nässe.
Der Magiker musste den Gestank wahrnehmen. »Verflucht, Junge!« schimpfte Greschym. »Du entwickelst dich mit jedem Tag weiter zu einem Kleinkind zurück! Mach, dass du aus dem Bett kommst, und säubere dich!«
Joach tat, wie ihm befohlen wurde. Er glitt von seinem Lager und schlüpfte aus der tropfenden Unterwäsche. Mit schlaffem Unterkiefer und nackt schlurfte er träge zum Waschbecken. Mit einem mit kaltem Wasser benässten Lumpen wischte er sich sauber.
»Zieh dich an und hol mir das Frühstück!« befahl Greschym, wobei er zum Fenster hinaufblickte, das immer noch dunkel war. Er brummte unwirsch und legte sich wieder hin. »Weck mich, wenn du wieder da bist.«
Joach musste sich zügeln, dass er sich nicht übermäßig beeilte, als er sich frische Unterwäsche anzog und in Hose und Hemd schlüpfte. Es war früh am Tag, und die Gänge würden ziemlich leer sein: eine ausgezeichnete Gelegenheit, um Erkundungen anzustellen. Mit wild pochendem Herzen behielt er seine behäbigen und ungeschickten Bewegungen bei. Mit falsch zugeknöpftem Hemd, das schlampig in den Hosenbund gesteckt war, trottete er zur Tür.
Er griff nach der Klinke. Greschym murmelte etwas vor sich hin. »Erstarrt in Stein und dreimal verflucht … Ragnar’k wird sich nicht … kann sich nicht bewegen … Nichts als bloße Prophezeiungen.«
Bei der Erwähnung von Ragnar’k hielt Joachs Hand an der Eisenklinke inne. Hatte der Magiker seine Gedanken gespürt? Er lauschte angestrengt, ob er dem Brummeln des Magikers irgendeine Bedeutung entnehmen könnte. Was wollte er damit sagen, und …
Plötzlich blökte Greschym laut, da er das Zögern des Jungen offenbar bemerkt hatte.
»Nun mach schon, Kerl! Bevor du dich wieder beschmutzt!«
Joach erschrak fürchterlich; er machte einen Satz, und beinahe wäre ihm die Luft weggeblieben. Er gab sich alle Mühe, den Anschein von Schwachsinn beizubehalten, doch Greschym hatte sich bereits wieder von ihm abgewandt und starrte zu den Deckenbalken hinauf. Joach ruckte an der Klinke und trottete mit wackeligen Beinen aus dem Raum. Er schloss die Tür und lehnte sich von außen dagegen, dabei stieß er einen leisen Seufzer der Erleichterung aus.
Er musste ein paar Mal tief durchatmen, um sein pochendes Herz zu beruhigen. Dann straffte er sich und folgte dem vertrauten Weg durch die gewundenen Flure der Ordensburg. Außer ihm war kaum jemand um diese frühe Stunde wach, deshalb bewegte er sich mit eiligen Schritten und hielt nur kurz an, um das Blatt Pergament und das Stück Holzkohle aus einer versteckten Nische in einem bröckeligen Mauerabschnitt an sich zu nehmen. Seine
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