Alasea 02 - Das Buch des Sturms
wenn mein Bruder und ich Fangen oder Verstecken spielten. Ich erinnere mich an unsere schimpfenden Mütter und stolzen Väter. Ich erinnere mich an das Schlagen von Hämmern auf Ambosse, dessen Echo durch das Tal hallte, und an die Flammen hunderter von Schmiedefeuern, die wie Sterne überall in den Bergen leuchteten.«
Eine Weile lang gab sie sich schweigend ihren Erinnerungen hin. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme härter. »Doch dann änderte sich alles. Ein Trupp von Bergleuten entdeckte eine Erzader tief unter dem Berg. Sie hatten noch nie ein solches Gestein gesehen: schwärzer als der tiefste Tunnel und sich jedem Werkzeug widersetzend. Unerschrocken und fest entschlossen, diese Ader abzubauen, benutzten sie den stärksten Hammer des Reiches, um den Stein anzugreifen. Sie bedienten sich des Try’sils, des Hammers des Donners. Sein durch Magik geschmiedetes Eisen stand in dem Ruf, jeden Stein zu zerschmettern. Und diese Behauptung erwies sich als wahr. Das Gestein wurde abgebaut und bekam von seinen Entdeckern den Namen Schwarzstein. Anfangs hielt man es für einen großen Schatz. Jeden Zwerg von Rang gelüstete es danach, ein Stück davon zu bearbeiten, um seine Fähigkeit, ihn zu formen, unter Beweis zu stellen. Schalen, Becher, Teller, Schwerter, sogar Statuen wurden aus dem Material geformt.
Doch dann geschah etwas. Der Stein verdarb unser Volk auf eine Weise, die wir nicht verstanden. Auch das Land wurde krank und vergiftet. Vulkane entstanden, und der Boden bebte andauernd. Gase und Asche verunreinigten den Himmel. Widerliche Tiere, die Mul’gothras und die Skal’ten, tauchten aus Gruben tief unter dem Gebirge auf. Von irgendwo her erschien der Herr der Dunklen Mächte bei unserem Volk, beinahe wie aus den Eingeweiden des Landes. Einige behaupteten, das Schwarze Herz sei ein Zwerg, einer, der sich der schwarzen Magik des Steins unterworfen hatte, während andere sagten, er käme aus dem Stein selbst, aus seinem Schwarzsteingrab befreit durch unsere Bergleute. Niemand wusste etwas Genaues, doch niemand zweifelte daran, dass das Verderben unseres Volkes eingeleitet war. Einige versuchten, dagegen anzukämpfen, einige versuchten, ihm zu entfliehen. Meine Eltern verkauften mich an die Meuchler, nicht wegen des Erlöses in Silber, sondern um mich aus jenem verfluchten Land wegzuschaffen. Ich wurde nach Alasea geschickt, bevor der Griff des Schwarzen Herzens alles erstickte.«
Cassa Dar sah Er’ril an. »Auch ich habe gesehen, welche Auswirkungen der Griff des Herrn der Dunklen Mächte auf mein Volk hatte. Es war eine Zwergenarmee, die nach Burg Drakken kam und meine Lehrer und Freunde hier abschlachtete. Sie kamen mit schrecklichen Tieren und Ungeheuern und belagerten unsere Festung. Ich sah das tödliche Funkeln in ihren Augen und erkannte sie als Sklaven des Schwarzsteins und seines Herrn. Wir ersuchten in den umliegenden Weilern um Hilfe, doch unsere Boten wurden bespuckt und verunglimpft. So viel zum Edelmut deiner Standi-Stammesgenossen!«
Jetzt war es an der Hexe, Er’ril zornig anzufunkeln. »Aber sie haben für ihren Kleinmut bezahlt. Ein Schwarzwächter kam zu unserer Burg, die übelste Sorte von Bösewächter. Während Bösewächter lediglich an ihre Schwarzsteine gebunden sind, sind Schwarzwächter mit dem Stein selbst eins. Sogar seine Haut war undurchdringlicher Schwarzstein. Wir griffen dieses abscheuliche Geschöpf mit allen Waffen und jeglicher Magik an, die das Burgarsenal bot, doch nichts konnte seine steinerne Haut durchdringen. Es war wie ein unaufhaltsamer Sturm, der über uns hinwegfegte und alles tötete, was ihm in den Weg kam. Während wir auf den Turm flohen, marschierte es zum Fundament unserer Schule. Nur ich ahnte seine wahre Absicht. Nur ich begriff, welche Waffe es in der schwarzen Faust hielt. Es war mit dem Try’sil nach Burg Drakken gekommen.«
»Warum?« fragte Elena, als die Hexe eine Pause im Erzählen einlegte. »Warum ist er hergekommen?«
Cassa Dar wischte sich Schweißperlen von der Stirn, als ob sie beim Erzählen das Ganze noch einmal durchlebte. »Habt ihr eine Landkarte?«
Er’ril nickte mit gerunzelter Stirn.
Cassa Dar bedeutete ihren Jungen mit einer Handbewegung, auf dem Tisch Platz zu machen. Ihre Diener waren flink wie immer. »Breite sie aus«, forderte sie Er’ril auf.
Er tat, wie ihm geheißen, entfaltete die Karte und strich sie mit der Hand flach. Sein wachsendes Interesse an ihrer Geschichte stand ihm deutlich ins Gesicht
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