Alasea 03 - Das Buch der Rache
über Winter hinweg, statt nur einige Atemzüge lang. Schon die erste Begrüßung dauerte ein Lebensjahrzehnt des Bruders. Ihre gesamte Unterhaltung umfasste nicht mehr als vier Sätze und dauerte doch sechs Jahrzehnte, bis sie beendet war. Die ganze Zeit über musste Bruder Lassen ruhig im Kalmengürtel sitzen bleiben. Das Essen wurde ihm gebracht. Zwischen den Wortsilben des Riesen schlief er. Der arme Bruder wurde schließlich alt, er bedankte und verabschiedete sich und starb.«
»Worüber haben sie gesprochen?« fragte Elena. »Es muss wichtig gewesen sein, wenn es ein ganzes Menschenleben gedauert hat.«
Flint schüttelte traurig den Kopf. »Nein, sie unterhielten sich lediglich übers Wetter. Nichts weiter.«
»Sinnlose Zeitverschwendung«, spottete Merik.
»Vielleicht, aber der Wald achtete den Tod des Mannes. Er schien das Opfer zu spüren, das der Mann dargebracht hatte, um ihn, den Wald, zu begrüßen und ihm Respekt zu zollen. Seitdem ist diese Gegend ein beliebter Zufluchtsort für alle Bruderschaften. Der Wald hat gelernt, schneller zu antworten und auf unser Kommen zu horchen. Nun schützt und umsorgt er uns. Es gibt keinen sichereren Ort.«
»Woher willst du wissen, dass er uns auch jetzt beschützt?«
Flint deutete hinter das Heck des Schiffes. »Er hat meine leise Bitte erhört, und noch während wir sprechen, verwischt er unsere Spur, damit uns niemand folgen kann.«
Elena drehte sich um. Der Kanal hinter dem Schiff war tatsächlich bereits verschwunden. Bäume und verfilzte Tangmatten blockierten den Weg zurück zum offenen Meer. Sie waren nun umgeben vom treibenden Wald, in seinem Herzen eingeschlossen.
Elena schlang die Arme um ihre Brust und starrte hinaus auf die Landschaft aus dicht nebeneinander stehenden Bäumen und Tanghügeln. Sie schienen sich bis über den Horizont hinaus auszudehnen. Elena fühlte sich völlig verloren angesichts der ungeheuren Größe des Wesens und seiner langen Lebensspanne.
Sie warf einen Blick zu ihrem Bruder. Joach teilte ihre gemischten Gefühle, wie sie an seinem Gesichtsausdruck erkannte.
Flint hatte mit seiner Erklärung ihre Bedenken eigentlich lindern wollen.
Doch das war ihm nicht gelungen.
Rockenheim hielt still. Er kniete auf dem dicken Wollteppich im Arbeitsgemach des Prätors und versuchte, mit dem Hintergrund eins zu werden, während die drei Dunkelmagiker sich stritten. Den Kopf hielt er gesenkt, und so konzentrierte er sich auf die roten und goldenen Wirbel im Teppichmuster unter seinen Knien. Seine Wadenmuskeln verkrampften sich bereits, doch darauf achtete er nicht. Es würde ihm niemals einfallen, sich das Bein zu massieren oder sich gar zu bewegen, um den Krampf zu lindern. Der Schmerz war nichts im Vergleich zu den Folgen, die ihn erwarteten, zöge er die Aufmerksamkeit des Prätors auf sich. Also kniete er nur regungslos da und hörte zu, wie sein Schicksal besiegelt wurde.
An diesem Morgen hatte er die Nachricht seiner Drak’il Spione überbracht. Das Schiff der Hexe war beobachtet worden, wie es in den Sargassum Wald des Kalmengürtels hineinsegelte. Hierbei handelte es sich um einen sehr unwirtlichen Meeresabschnitt. Selbst die Meerkobolde trauten sich dort nicht hinein. Die Drak’il hatten sich geweigert, dem Schiff weiter zu folgen.
»Wir brauchen weitere Informationen«, verlangte der junge Magiker mit seiner kindlich quengelnden Stimme. De’nal, ein Junge mit sandfarbenem Haar, lümmelte in einem der dick gepolsterten Stühle und schlug mit dem Absatz gegen ein Stuhlbein.
»De’nal hat Recht«, murrte Greschym. »Wir wissen, dass sie die Mer’ai suchen, und wenn sie sie wirklich treffen…«
»Es gibt nur eine Sache, nach der die Hexe wirklich sucht«, unterbrach Schorkan den alten Dunkelmagiker schroff. Seine Worte gefroren förmlich in der Luft des kleinen Turmzimmers. »Sie braucht das Buch des Blutes. Lasst sie doch herumsuchen und hier und da einen Helfer gewinnen. Sie sind allesamt herzlich eingeladen, ihre Knochen hier an unseren Felsen zerschellen zu lassen. Niemand kann auch nur hoffen, unsere Verteidigung zu durchbrechen. Vom Schlachtfeld werden wir am Ende den Preis für das Schwarze Herz auflesen; ganz gleich, ob tot oder lebendig das Mädchen wird in den Kerker von Schwarzhall gebracht.«
Greschym wagte es zu widersprechen. »Schorkan, solange ich dich nun kenne, hast du immer zu viel Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten gesetzt. Hat die Hexe nicht gezeigt, dass sie und ihre Gefährten ziemlich
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