Alasea 03 - Das Buch der Rache
gegangen war. Elena hatte noch einen Blick der angsterfüllten Augen des Mannes erhaschen können, bevor er über die Reling gezerrt wurde, eine Seilschlinge um den Hals.
Elena fiel auf die Knie.
Die Trauer schwächte sie noch mehr. Warnschreie hallten quer übers Deck, als die Gefährten sich der Gefahr bewusst wurden, dass ihre Magik dabei war, das Schiff auseinander zu reißen.
Joachs Stimme bellte nahe neben ihrem Ohr. »Elena, wir haben gewonnen! Hör auf!«
Was glaubte ihr Bruder denn, was sie die ganze Zeit versuchte? Sie konnte die Magik nicht einfach in sich zusammenfallen lassen. Sie war mittlerweile zu groß geworden. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Magik vielleicht von selbst erlöschen würde. Doch verloren im Auge des Sturms, wusste Elena genau, dass diese Hoffnung sich nicht bewahrheiten würde. Sie fühlte, dass die Quelle der Magik zu tief ging. Das Schiff wäre garantiert schon lange zerstört, bis die Wut des Sturmfeuers endlich von selbst zur Ruhe käme.
Ihr Mut sank, und Elena suchte fieberhaft nach Rat. Sie brauchte ein Mittel, um ihre Magik in Ketten zu legen. Als Antwort auf ihr Suchen fühlte sie plötzlich etwas in ihrer Nähe. Sie warf einen Blick zurück über die Schulter. Aber da war niemand. Auch der Hauch eines Geruches stieg ihr in die Nase, eine Andeutung von Standi Lehm. Sie hörte das Knirschen von Leder. Und irgendwo in der Ferne rief jemand ihren Namen: Elena. Es war Er’rils Stimme, und der Tonfall klang ganz nach Schimpfen. Ihr Herz zog sich zusammen. Elena wusste, dass kein Geist sie in diesem hoffnungslosen Moment heimsuchte, sondern ihre Erinnerungen. Da ihre Schutzmechanismen geschwächt waren, regte sich etwas in einem entlegenen Winkel ihres Herzen. Sie hatte sich selbst immer nur als Hexe und Frau betrachtet, aber nun erkannte sie, dass sie sich weiterentwickelt hatte. Irgendwo auf der Reise hierher war auch Er’ril ein Teil von ihr geworden. Die Stärke, die er Elena in der Vergangenheit geschenkt hatte, war nicht mit dem Mann gestorben. Sie existierte noch, und zwar in ihrem Herzen.
Elena richtete sich wieder auf. Sie durfte nicht sterben. Sie würde nicht zulassen, dass dieser winzige Funken, der von Er’rils Leben noch übrig war, für immer erlosch, nur weil sie zu schwach war. Nur wenn sie am Leben blieb, konnte sie seine Erinnerung lebendig halten. Sie stand nun wieder aufrecht und kämpfte mit wilder Entschlossenheit gegen die blindwütige Magik an, teils mit ihrer wieder gewonnenen Stärke, teils mit ihrem Geist.
Ganz allmählich gelang es ihr, die Magik wieder in die Gewalt zu bekommen, indem sie die Handflächen zueinander führte. Sie stöhnte vor Anstrengung.
Über ihr verkleinerte sich die Energiefontäne zu einem Speer. Schließlich gelang es ihr mit einem letzten Aufbäumen ihres Willens, die Handflächen aneinander zu pressen und die Hände zu falten. Somit war der Magik Fluss gestoppt. Das Sturmfeuer hatte sich selbst ausgeblasen.
Dann wurde Elena von Erschöpfung übermannt und sank zusammen. Einer der Zo’ol fing sie auf, und sie bekam erstmals die Zerstörung um sich herum zu Gesicht.
Neben ihr, umringt von mehreren zerfleischten Skal’tum Leichen, stützte sich Joach müde auf seinen Stab. In seinen aufgerissenen Augen sah sie, wie er um seine Schwester bangte. Flint humpelte auf einem Bein zu ihr, das andere war verletzt und blutete. Tol’chuk stützte den Mann, aber auch der Og’er war nicht unversehrt davongekommen. Tiefe Kratzer zeichneten seine Brust. Merik wirkte entkräftet und erschöpft. Die Magik, die er für seine Winde heraufbeschworen hatte, hatte ihn völlig ausgezehrt.
Eine hohe Stimme drang aus dem Wasser neben dem Schiff herauf. »Helft uns an Bord!«
Joach beugte sich über die Steuerbordreling. »Es sind Saag wan und Ragnar’k. Sie haben eine verletzte Frau bei sich.« Er winkte die anderen zu Hilfe.
Flint allerdings schenkte dem Tumult an der Reling keine Beachtung, er starrte nur hinauf in den Himmel. Die Sterne leuchteten hell. »Es ist vorbei.«
»Nein«, flüsterte der Zo’ol an Elenas Seite. Seine Augen waren nicht in den Himmel, sondern auf den dunklen Wald um sie herum gerichtet. »Es fängt erst an.«
20
Im Schutze einer Blätterlaube hoch oben im Wipfel eines Baumes beobachtete Rockenheim mit leidenschaftslosem Blick die Schlacht, die auf dem See tobte. Auf dem benachbarten Ast saß sein Skal’tum Leutnant, der jedoch nicht so ruhig zusehen konnte. Er zischte laut, presste seine Krallen in
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