Alasea 03 - Das Buch der Rache
ein gellender Schrei durch das Schiff.
Joach sprang auf, den Stab in der Hand. »Elena!«
3
»Dreh dich um… langsam«, befahl die schrille Stimme hinter Mikela.
Nun hatte auch die alte Heilerin die Suche in den mit Tränken und Balsam schwer beladenen Regalen beendet und sich umgedreht. Sie hielt eine Flasche mit Kräutern in der Hand. Mikela hatte Mühe, den Ausdruck auf dem Gesicht der uralten Frau zu deuten; die fehlenden Augen erschwerten es ihr, sie zu ergründen. Dennoch stellte Mikela einen Anflug von Belustigung fest, der die Mundwinkel der Heilerin in Fältchen legte.
»Tikal«, schimpfte die Heilerin, »lass die arme Frau in Ruhe!«
Mikela drehte sich langsam um. Hinter ihr stand niemand. Sie sah nur das kleine pelzige Wesen, das nun am Türriegel hing. Sein Gewicht musste die Tür zugeschlagen haben. Aber wer hatte gesprochen? Mikela blickte sich um. Sonst befand sich niemand im Raum.
Tikal kletterte den Türrahmen hinauf, die großen schwarzen Augen unablässig auf sie gerichtet. »Fass dein Schwert an, und du stirbst«, wiederholte er mit derselben rauen Stimme.
Mikelas Augen wurden groß.
Da erklärte die Heilerin hinter ihr: »Hör nicht auf ihn. Tikal weiß nicht, was er sagt. Er plappert nur nach, was er auf den Straßen gehört hat.«
»Was kosten die Orangen?« fuhr Tikal fort, seine Stimme klang nun wie die einer forschen Frau. »Für das Geld kann ich ja drei Scheffel kaufen!« Das kleine Wesen kletterte weiter hinauf, um sich an die Decke zu hängen. Mit Schwanz und Fuß hielt er sich fest und ließ den Kopf nach unten baumeln. Er starrte Mikela direkt ins Gesicht und sagte mit einer lieblichen Kinderstimme: »Ich mag Pferdchen.«
Mikela blinzelte das seltsame Wesen einige Mal an. Das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals von dem Schrecken. »Was ist das für ein Tier?«
»Ein Tamrink. Ein Goldmähnen Tamrink, um genau zu sein, aus dem Dschungel von Yrendl. Dieses Nachahmen gehört zu den vielen Begabungen, die ein Tamrink besitzt, obwohl ich es eher als Belästigung denn als Gabe bezeichnen würde.«
Mit einem Kopfschütteln wandte sich Mikela an die alte Frau.
»Mein Name ist Mama Freda«, stellte sich die Heilerin vor und nickte zum Gruß. Obwohl blind, griff sie zielsicher nach einem kurzen Stock, der an der Wand lehnte, und nahm ihn zu Hilfe, als sie um den Ladentisch herummarschierte.
»Du hast etwas von meinen Freunden erwähnt.«
»Ja, sie sind gestern angekommen. Sie brauchten einen Heilkundigen.«
Sorge machte sich in Mikelas Brust breit. Wer war verletzt? »Weißt du, wo meine Freunde sich einquartiert haben?«
Die alte Frau wandte sich um, als wollte sie Mikelas Gesichtsausdruck studieren. »Natürlich. Komm.« Freda führte sie zur Hintertür und stieß diese auf. Eine dunkle Treppe führte ins obere Stockwerk.
Tikal landete mit einem dumpfen Schlag hinter Mikela. »Tikal… Tikal… Tikal…«, sang er und huschte an ihnen vorbei und die Treppe hinauf.
Mikela betrachtete die dunklen Stufen. Sie tastete sie mithilfe ihrer Sinne ab, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen. Sie dachte daran, wie leichtsinnig sie vorhin gewesen war, und verlieh ihrer Sorge Ausdruck: »Freda, bitte nimm mir meine Worte nicht übel, aber wie schützt sich eine blinde Frau in einer gesetzlosen Stadt wie Port Raul?«
Mama Freda drehte sich mit einem Schnauben zu Mikela um. »Mich schützen? Ich bin die einzige Heilerin hier in Sumpfstadt, die ihr Handwerk beherrscht, und das wissen alle.« Sie schwenkte den Stock herum. »Die ganze Stadt wacht über meine Apotheke. Wer würde die klaffenden Wunden, verursacht durch die scharfen Klingen der Schwerter, und die vergifteten Mägen heilen, wenn ich nicht wäre? Diese Leute mögen hart und grob sein, aber halte sie niemals für dumm.« Sie schien Mikela erneut prüfend anzusehen. »Und außerdem, wer sagt, dass ich blind bin?«
Mit diesen Worten setzte Mama Freda den Weg die Treppe hinauf fort. »Folg mir!«
Mikela zögerte einen Atemzug lang, dann gehorchte sie. Diese seltsame Frau wusste mehr, als sie preisgab. Voller Zweifel und Vorsicht folgte sie ihr die Treppe hinauf.
Oben angekommen, betraten sie einen kurzen Gang, von dem links und rechts mehrere Türen abgingen. Mama Freda führte Mikela zu der hintersten Tür, aber Mikela beäugte auch die anderen Türen gründlich. Hier wäre ein Überfall aus dem Hinterhalt leicht möglich. Eine der Türen stand einen Spaltbreit offen, und die Schwertkämpferin erhaschte einen Blick
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