Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
fort. »Richald hat den Absturz überstanden, aber er hat sich dabei das Bein gebrochen, und er spricht nicht mehr. Er sitzt nur schweigend bei den anderen Elv’en. Ich glaube, mehr noch als der Beinbruch hat ihn der Verlust seines Schiffes zum Krüppel gemacht.«
»Was ist mit seiner Mannschaft?« fragte Kast.
»Drei sind davongekommen. Vier wurden beim Absturz getötet.«
Kast betrachtete das qualmende Wrack. »Und was nun?«
»Wir gehen zu Fuß weiter. Kesla sagt, der Alkazar liegt etwa sieben Meilen von hier ein anstrengender Marsch, aber nicht unmöglich. Heute sammeln wir noch ein, so viel wir können, und ruhen uns aus. Nach Sonnenuntergang beladen wir dann eine Schlepptrage, und wenn es dunkel wird, machen wir uns auf den Weg.«
Saag wan blickte an der Rauchsäule empor. »Sind wir bis dahin in Sicherheit? So manches fremde und gewiss nicht immer freundliche Auge wird dieses Mahnmal sehen und Genaueres wissen wollen.«
Saag wan erschrak, als Kesla plötzlich neben ihr stand. Die Meuchlerin war völlig lautlos herangekommen. Und als Saag wan sich umdrehte, sah sie keinen einzigen Fußabdruck im glatten Sand.
Kesla beantwortete die Frage. »Saag wan hat Recht. Sicher sind wir hier nicht. Nicht nur, dass fremde Augen den Rauch entdecken könnten, im Sand der Ödlande verbergen sich auch grässliche Bestien, die vom Blutgeruch angelockt werden. Wir sollten einen Scheiterhaufen errichten und die Leichen verbrennen, um keine Spuren zu hinterlassen. Und danach sollten wir so bald wie möglich aufbrechen.«
Joach schüttelte den Kopf. »Wir haben kein Wasser. Und wir sind alle erschöpft. In der Nacht ist es kühler.«
»Und gefährlicher«, widersprach Kesla streng.
Saag wan beobachtete, wie die beiden einen stummen Kampf ausfochten. Die Spannungen zwischen ihnen waren sicher nicht nur auf die derzeitige Situation zurückzuführen.
Kast schaltete sich ein. »Ich finde, wir sollten auf Kesla hören. Sie kennt die Ödlande besser als wir alle. Sie ist hier zu Hause.«
»Das meine ich auch«, sagte Saag wan.
Joach funkelte Kesla noch einmal an, ehe er abrupt kehrtmachte. »Schön. Ich sage den Elv’en Bescheid.«
Kesla sah ihm nach, dann seufzte sie. »Ich muss Scheschon fertig machen.«
»Ich helfe dir«, sagte Hant und folgte ihr.
Saag wan und Kast blieben allein zurück. Saag wan war froh, den Blutreiter wieder an ihrer Seite zu haben, und lächelte ihn müde an. »Was macht dein Arm?«
»Ich werde nicht daran sterben.«
»Hoffentlich.« Sie schmiegte sich an ihn, achtete allerdings darauf, die verbrannten Stellen nicht zu berühren.
Er legte den heilen Arm um sie und drückte sie fest an sich. »Wir haben einen weiten Weg vor uns. Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen und uns ein schattiges Plätzchen suchen, um uns auszuruhen.«
Sie strich ihm mit dem Finger über die Brust. »Ausruhen?«
Kast sah ihr fest in die Augen. »Hattest du an etwas anderes gedacht?«
Sie hielt ihm die Lippen entgegen und sagte heiser: »Ich brauche dich.«
Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Er beugte sich zu ihr hinab doch bevor sich ihre Lippen berührten, gellte vom Schiffswrack ein Schrei herüber.
Gildemeister Belgan kniete neben dem Schamanen im dunklen Innenhof. Die Morgensonne stand zwar schon am blauen Himmel, doch um in den hohen, engen Hof zu scheinen, musste sie erst noch über die Mauern des Alkazars steigen. So kauerten die beiden neben einem Brunnen mit gefliestem Rand im Schatten. Ringsum schmückten blühende Sträucher und verschiedene Sandsteinskulpturen den kleinen Garten.
Schamane Parthus warf einen Satz weißer Knöchelchen auf den Boden: winzige Wirbel, Gelenkköpfe, Eidechsenschädel und Teile von Vogelskeletten tanzten klappernd über das rote Pflaster und blieben schließlich weit verstreut liegen. Der Schamane studierte mit schief gelegtem Kopf das Muster der weißen Knochen auf dem roten Stein.
Belgan strich sich das weiße Haar zurück und kniff die Augen zusammen, aber ihm wollten sich die Knochen nicht erschließen. Die Gabe des Sehers fehlte ihm. »Was siehst du?«
Parthus hob die dürre Hand, beugte sich vor und beroch die Knochen. Dann begutachtete er das Muster mit jeweils einem Auge wie ein Vogel einen appetitlichen Käfer. Mit seiner langen Nase und den scharfen Zügen erinnerte er ohnehin frappant an einen Raubvogel.
Belgan setzte sich ungeduldig auf die Fersen zurück und wartete. Beide Männer trugen rote Wüstenmäntel und hatten die Kapuzen
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