Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
einzustellen. Die Schwarze Wurzel hat mir die Kraft gegeben, deinem hübschen Liedchen zu widerstehen.«
»Du wirst uns nicht bekommen«, warnte Ni’lahn. »Ich werde kämpfen bis zum letzten Lebensfunken.«
Erneut lachte der Geist. »Du bläst dich ganz schön auf, Kleines. Dabei will ich gar nichts von dir.« Die Gestalt warf einen Blick auf das Kind in Mikelas Armen, dann wandte sie sich wieder an Ni’lahn. »Ich will den Jungen … Meinen Jungen.«
Ni’lahn wich einen Schritt zurück. »D deinen Jungen?«
Wieder dieses Lachen. »Sagte ich nicht eben noch, dass du mich kennst, Ni’lahn?« Die Rauchgestalt verfestigte sich noch mehr und nahm vertraute Züge an.
»Cäcilia«, keuchte Ni’lahn wie vom Donner gerührt.
Rodricko trat vor. »Die Hüterin des Haines.«
Ni’lahn wimmerte vor Verzweiflung. Kein Wunder, dass ihr Lied nicht gewirkt hatte. Die Älteste war viele Jahrhunderte alt gewesen, als die Fäule sie befallen hatte. Cäcilia war die weiseste Nyphai von allen, ihr Wissen und ihre Schläue waren unerschöpflich.
Die Dämonin blickte auf den Holzschnitzer herab. »Bist du immer noch da?« Sie glitt näher.
Rodricko schwenkte seinen Stock.
»Nein!« rief Ni’lahn.
Der einstige Ast fuhr in die Schattenfrau. Wieder flammte violettes Licht auf, doch dieser Geist blieb unversehrt. Der Krückstock steckte zwar in Cäcilias Brust, aber sie sah lächelnd auf ihn nieder. »Die Seele deines Baumes kann mir nichts anhaben, denn ich war mit ihr verschmolzen. Nun sind wir eins.« Eine schwarze Ranke schoss aus dem Körper und legte sich liebevoll um den Stock.
»Lass los, Rodricko!« warnte Ni’lahn.
»Ich … ich kann mich nicht bewegen …«
Der Geist lächelte. »Ich rieche deine Seele im Holz, mein tapferer Ritter. Hast du es etwa genährt? Wie grausam von dir, das Unvermeidliche so lange hinauszuzögern! Lass dir zeigen, was der Schwarze Herr unter Gnade versteht.« Die Ranke spannte sich um den Stock, und Rodricko fiel auf die Knie.
Einen Herzschlag später hatte der böse Geist dem Holzschnitzer durch den Ast die Lebenskraft entzogen. Rodricko schrumpfte mit einem Schrei auf den Lippen ein und sank, grotesk entstellt, tot auf den verschneiten Boden. Der Ast in seiner Hand zerfiel zu Asche.
»Ein Jammer, dass er nur noch so wenig Leben in sich hatte«, klagte die Dämonin und scharrte die Asche mit dem Fuß auseinander. »Er hat mir erst richtig Appetit gemacht.«
Ni’lahn spürte, wie ihre Beine nachgaben. »Rodrickos Familie hat dir Generationen lang treu gedient. Was ist aus dir geworden?«
Kral war schon an ihrer Seite und stützte sie. »Von ihr wirst du keine Antwort bekommen. Sie ist an das Schwarze Herz verloren und wird von ihm missbraucht.«
»Missbraucht?« Bitteres Gelächter schallte durch den Wald. »Sieh dich doch um, Mann aus den Bergen. Das Land war es, das meinen Wald missbraucht hat. Der Schmerz, die Trauer … Du machst dir keine Vorstellung. Und als Ni’lahns sterbender Baum mich zu sich rief, da wurde dieser Schmerz noch hundert Mal stärker. Es war mir unerträglich, die reine Seele mit meinem Gift zu besudeln.« Lautes Klagegeheul stieg zum Himmel empor.
Ni’lahns Gefährten fielen vor diesem Verzweiflungsschrei auf die Knie. Ni’lahn blieb als Einzige stehen.
Nur langsam verstummte Cäcilias Weinen. Endlich fuhr sie mit ruhigerer Stimme fort: »Ich war schwach und wehrlos, als die Schwarze Wurzel mich fand. Und ich ließ sie gewähren. Was spielte es noch für eine Rolle? Hinterher war ich froh, dass ich keinen Widerstand geleistet hatte. Die Berührung der Schwarzen Wurzel entwirrte, was der Fluch des Landes verfilzt hatte. Ihr Feuer gab mir meinen Verstand zurück und zeigte mir, wer mein wahrer Feind ist.«
»Und wer ist dein wahrer Feind?« fragte Ni’lahn.
Der Geist starrte sie durchdringend an. »Das Land, meine Liebe! Das grausame, unversöhnliche Land. Die Schwarze Wurzel hat mir Vergeltung versprochen. Ich setzte mein ganzes Können ein, um die Grim für unsere gemeinsame Sache zu gewinnen. Wir wollen den Nordwall einreißen und die Wege in die Berge in unsere Gewalt bringen. Nichts darf uns dabei stören.«
Ni’lahn stand wie erstarrt.
Mikela lag noch immer auf den Knien im Schnee. Nun erhob sie die Stimme. »Was plant die Schwarze Wurzel?«
In Cäcilias Augen flackerte der Wahnsinn. »Sie wird das Land quälen, bis es aufheult wie meine Schwestern. Sie wird es ebenso missbrauchen, wie einst mein schöner Wald missbraucht wurde.«
Mikela
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