Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Gestalt in sattem Gelb.
Damit hatte die Schlange ihre Aufgabe erfüllt, stieg wie ein Taucher wieder an die Oberfläche und trieb auf Mikelas Körper. Der Wellengang und das Brodeln beruhigten sich, und schon bildete sich aus der Masse erneut eine Gestalt. Innerhalb weniger Augenblicke entstanden abermals Gliedmaßen und ein weich gerundeter Körper.
Mikela war wiedergeboren. Sie öffnete den Mund und tat ihren ersten Atemzug. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sie blieb auf ihrem Umhang sitzen und hielt die Augen geschlossen, bis die Verwandlung vollendet war. Die Paka’golo lag wieder fest um ihren Oberarm.
Mogwied zitterte an allen Gliedern. Und dann spürte er, wie etwas Kaltes seine erhitzte Wange berührte. Er schrie auf und fiel zurück, die Arme schützend erhoben.
Ein großer dunkler Schatten ragte über ihm auf. Erst als er seinen Bruder erkannte, begann sein Herz wieder zu schlagen. Ferndal setzte sich auf die Hinterbeine und ließ in wölfischer Belustigung die Zunge aus dem Maul hängen.
Mogwied setzte sich auf und stieß seinen Bruder mit der Faust in die Seite, aber es war ein kraftloser Hieb.
»Wer ist da?« rief eine heisere Stimme. Mikela.
Mogwied zuckte zusammen, dann rappelte er sich auf. »Ich ich bin es nur! Ich habe Ferndal gefunden.« Er trat unter dem Baum hervor, als wäre er eben erst gekommen. »Ich dachte, das solltest du gleich erfahren.«
Er schob einen Ast beiseite. Mikela war schon wieder in ihr Leinenhemd geschlüpft. Sie nickte. Ihre Augen wirkten müde. Sie wandte sich dem Stapel mit ihren Kleidern zu. »Gut, dass du wieder da bist, Ferndal.«
Der Baumwolf knurrte nur und stolzierte zum Bach, um ausgiebig zu trinken.
Mikela und Mogwied wechselten einen Blick. Beiden war nicht entgangen, dass Ferndal keinen Gruß gesendet hatte. Er versuchte nicht einmal mehr, sich nach Si’lura Art zu verständigen.
Der Wolf ging mit triefender Schnauze zu einem Busch und hob das Bein. Der warme Strahl dampfte in der Nachtkälte.
Wieder sah Mikela Mogwied an und zog eine Augenbraue hoch.
Mogwied fand es erschreckend, wie selbstverständlich sein Bruder vor ihnen urinierte. Als Ferndal fertig war, hob er die Schnauze, prüfte die Luft und sprang, offenbar vom Duft des abendlichen Eintopfs angelockt, auf das Lager zu.
Mikela zog ihre Beinkleider an. »Ferndal ist schon fast ganz zum Wolf geworden. Bist du sicher, dass ihr beide noch einen Mond Zeit habt, bevor die Erstarrung endgültig wird?«
Mogwied fiel ein, welche Empfindungen Mikelas Nacktheit bei ihm ausgelöst hatte. Er hatte sich verzweifelt gewünscht, sie wie ein Menschenmann zu nehmen. Selbst jetzt war er froh, unter seinem Umhang verbergen zu können, wie sehr ihn diese Gefühle noch immer beherrschten. »Ich … ich weiß nicht. Wir sind die Ersten, die von diesem Fluch getroffen wurden.«
Mikela legte ihm die Hand auf die Schulter, und Mogwied musste einen Schauer des Begehrens unterdrücken. »Wenn es eine Möglichkeit gibt, ihn von euch zu nehmen, werden wir sie finden.«
Mogwied nickte und trat zurück. Als sie ihr Wams aufhob, fiel sein Blick auf die Schlange. Seine Augen wurden schmal. Hilfloser Zorn flammte in ihm auf und durchdrang sogar seine Begierde. Es war nicht gerecht, dass Mikela durch die Schlange die Gabe des Gestaltwandelns zurückerhalten hatte. Sie war freiwillig in ihrer menschlichen Gestalt erstarrt, dennoch hatte sie eine zweite Chance bekommen.
Die Schlange schien seinen Blick zu spüren und hob den winzigen Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Ihr Zünglein schnellte heraus und prüfte die Luft.
Mogwieds Augen wurden noch schmaler. Wieder sah er Mikelas Fleisch zerfließen. Zum tausendsten Mal fragte er sich, ob der Schlüssel zur Lösung seines Problems nicht direkt vor seiner Nase lag. Mama Freda, die alte Heilerin, hatte behauptet, die Schlange sei seit Mikelas Wiedererweckung untrennbar mit der Schwertkämpferin verbunden, die Magik des Tieres könne nur über ihre Seele zur Wirkung kommen. Aber wenn diese Bindung nun irgendwie zerrissen würde? Ließe sich dann nicht vielleicht ein neues Band knüpfen?
Mikela richtete sich auf und schlüpfte in ihr Wams. »Wir sollten zum Lager zurückgehen.«
Mogwied nickte. Er wartete, bis sie fertig angekleidet war, dann folgte er ihr.
Während er ihren Rücken vor Augen hatte, regte sich in seinem Herzen nur ein Wunsch: nicht die Wollust des Mannes, sondern ein anderer, schwärzerer Trieb. Wenn es nun tatsächlich einen Weg gäbe, die
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