Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
hatte. »Wenn er unsere Magik einfach aufsaugen kann, wie sollen wir ihn dann bekämpfen?«
Kral trat vor. Die Sonne war endgültig hinter dem Horizont verschwunden. Er stand als schwarzer Schatten in der Dämmerung und wog seine Axt in der Hand. »Das ganze Gerede bringt uns keinen Schritt weiter. Was immer auch geschieht, ich werde einen Weg finden, diese Verderbnis aus dem Herzen der Zitadelle zu schlagen. Der Eisthron soll wieder dem Bergvolk gehören.«
Mikela seufzte. »Kral hat Recht. Von hier aus können wir nichts erreichen. Wir haben keine Wahl. Wir müssen weiter.«
Nachdem das geklärt war, nahm die Gruppe den Pfad, der ins Tal hinabführte. Da es von nun an nur noch abwärts ging, ließ Ni’lahn das Pony frei und marschierte zu Fuß weiter. Sie fürchtete, das Tier könnte ihnen eher hinderlich als nützlich sein. Merik nahm ihr die Laute in ihrer Schutzhülle ab und hängte sie sich über die Schulter.
Nach einer Weile kam Mogwied, den Umhang fest um seine schmale Gestalt gewickelt, nach vorn gelaufen. Er deutete mit dem Kopf auf die Zitadelle. »Hat irgendjemand sich schon überlegt, wie wir die Burg erreichen wollen? Wenn sie von Zwergen bewacht wird und auf einem riesigen Steinbogen thront …«
»Es gibt einen Weg ins Innere«, antwortete Kral.
»Und was für ein Weg soll das sein?« fragte Mogwied.
»Derselbe, auf dem mein Volk vor fünfhundert Jahren von hier geflohen ist.«
In der Nacht begann es erneut zu schneien, und der Wind trieb die Flocken in dichten Wirbeln um die Wanderer, die, in ihre Umhänge gewickelt, lautlos am felsigen Ufer entlangschlichen und sich im Schatten der überhängenden Bäume versteckten.
Kral ging voran. Er hatte misstrauisch die Augen zusammengekniffen. Es war stockdunkel, und das Wasser des Sees glänzte wie schwarzes Öl. Kral betrachtete aufmerksam die weißen Wolken, die über die dunkle Oberfläche des Amov Felsens fegten. Dann blieb er stehen und prüfte schnüffelnd den Wind. Ein Sturm war im Anzug ein ausgewachsener Schneesturm.
»Wir müssen schneller gehen«, zischte er Mikela zu, die hinter ihm ging.
Sie verzog das Gesicht. »Vorsicht ist wichtiger.«
Kral starrte in den tiefen Wald hinein, der den Talgrund bedeckte. Auf dem Weg zum Amov Felsen waren sie mehrfach auf Feldlager der Zwerge gestoßen, aber die waren dank ihrer Lagerfeuer leicht zu entdecken und zu umgehen gewesen. Auch gelegentlichen Streifen hatten sie ohne weiteres ausweichen können, da die Zwerge es mit der Wachsamkeit nach wie vor nicht so genau nahmen. Doch zurzeit war es im Wald dunkel und still.
»Vermutlich sitzen alle Hühner bereits im Nest«, antwortete er. »Die Zwerge mögen die Kälte nicht, und deshalb werden sie heute Nacht lieber den Kopf unter den Flügel stecken.«
»Trotzdem empfiehlt es sich, auf der Hut zu sein«, sagte Merik der das Gespräch mit angehört hatte. »Sonst wecken wir womöglich noch den ganzen Hühnerstall auf.«
»Wir bekommen einen Sturm«, grollte Kral. »Einen richtigen Bergfresser.«
Merik warf einen Blick über den See nach Norden. »Ich spüre ihn auch, aber der Schneesturm könnte uns Deckung geben.«
Kral schüttelte den Kopf, dass die Eisklümpchen in seinem Bart klirrten. »Von den Verhältnissen am Himmel magst du etwas verstehen, Elv’e. Aber von den Bergen hast du keine Ahnung. Was da auf uns zukommt, lässt dich am Boden festfrieren. Wir müssen vom See weg sein, bevor es zuschlägt.«
»Wie viel Zeit haben wir noch?«
Kral legte den Kopf schief. Der Wind begann bereits zu pfeifen. »Nicht viel.«
Mikela nickte. »Gib du den Schritt vor. Wir halten mit.«
Sie setzten sich wieder in Marsch. Mikela blieb zurück, um den anderen Bescheid zu geben. Merik hielt sich gleich hinter Kral. Nach einer weiteren Meile wurde der Schnee noch dichter. Große, nasse Flocken blieben am Ufer und auf den Ästen liegen und bildeten rasch eine dicke Schicht.
Merik schüttelte den Schnee von seinem Umhang wie ein Vogel, der sein Gefieder sträubt, und fragte: »Wie weit ist es noch zu diesem geheimen Eingang in deine Bergzitadelle?«
»Wir sind schon ganz nahe«, brummte Kral. Er wollte nicht sprechen. Immer wenn es dunkel wurde, bekam die Bestie in ihm Auftrieb. Sie nicht zu beachten, war schwierig, sie im Zaum zu halten erst recht, besonders hier in diesem Tal, das allenthalben von dunkler Magik durchzogen war.
»Wo ist er?« beharrte Merik.
Kral zeigte hinaus auf die Stelle des Sees, wo die ihnen zugewandte Hälfte des Bogens aus
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