Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
nützlich sein.«
Merik ließ die Armbrust sinken. »Die Tarnung ist jedenfalls überzeugend.«
Mikela mit ihrem stämmigen Zwergenkörper setzte sich an die Spitze und führte ihre Gefährten um den Felsen herum. »Jetzt müssten wir den Bogen gefahrlos erreichen können.« Sie stapfte ins Freie hinaus und stemmte sich gegen den Wind, der vom See her über das felsige Ufer fegte und ihnen um die Ohren pfiff. Er war noch stärker geworden. Die Schneeflocken kamen ihnen nahezu waagerecht entgegen. Mühsam kämpfte sich die Gruppe bis zur Brücke vor.
Vor der Tür am anderen Ende des hölzernen Steges brannte nur noch eine einzige Fackel. Die übrigen hatte der feuchte Wind ausgeblasen. Sie eilten hinüber und drängten sich alle miteinander in die Nische. Die eine Fackel spendete keine nennenswerte Wärme. Immer wieder kamen Schneewolken durch die Öffnung gewirbelt.
Mikela probierte die Klinke. Aber die Eisentür war verschlossen und verriegelt.
»Was machen wir jetzt?« fragte Mogwied mit angstvoll aufgerissenen Augen.
Merik lehnte sich an die Mauer. »Kral hat gesagt, wir sollen hier auf ihn warten, also warten wir.«
Mikela war nicht so geduldig. Sie zog ihr Schwert und schlug mit dem Griff gegen die Tür. Das Eisen dröhnte wie eine Glocke. »Alles zurücktreten!« befahl sie. »Falls ein Zwerg die Tür bewacht, soll er nur einen Zwerg sehen. Und …«
Die Tür wurde aufgerissen. Mikela wich zurück.
Eine dunkle Gestalt stand auf der Schwelle, und eine raue Stimme blaffte: »Was glotzt ihr so? Nun macht schon, dass ihr hereinkommt.« Dann trat die Gestalt in den Schein der Fackel, und sie erkannten Kral. Er war triefend nass. Sein Bart klebte ihm an der Brust. »Wo bleibt ihr denn so lange?«
Alle eilten hinein. Kral klapperte vor Kälte mit den Zähnen.
Während er in seine Kleider schlüpfte, begutachtete er Mikelas neues Aussehen. Tyrus berichtete von der Vernichtung der Spione; die sich in den Felsen versteckt hatten. »Eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme«, lobte der Gebirgler.
Mikela sah sich im Eingang um. Eine breite, direkt aus dem Felsen gehauene Wendeltreppe führte nach oben. Auf der untersten Stufe lag bäuchlings ein toter Zwerg in seinem Blut. Frische rote Rinnsale sickerten über den Boden.
Kral war ihrem Blick gefolgt. »Ihr wart nicht die Einzigen, die auf einen versteckten Posten gestoßen sind.«
Sie nickte und wandte sich ab. Aber sie spürte ein warnendes Kribbeln, die winzigen Härchen in ihrem Nacken sträubten sich. Nur mit Mühe gelang es ihr, gelassen und gleichgültig zu erscheinen. Hier stimmte etwas nicht. Kral hatte sie trotz ihrer Zwergengestalt erkannt, bevor Tyrus ein Wort gesagt hatte. Sie hatte es ihm an den Augen angesehen, und sie hatte auch bemerkt, dass er sie beschnuppert hatte wie ein wildes Tier aus den Wäldern. Und jetzt der tote Zwerg. Wie hatte Kral ihn getötet? Die Kehle des Wachpostens war von einem Ohr bis zum anderen aufgerissen. Aber Kral hatte keine Waffe …
Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, während er sich fertig anzog und seine Axt wieder in den Gürtel steckte. Was für ein Spiel lief da im Hintergrund?
Neben ihr drehte sich Mogwied nach allen Seiten und suchte die Wände ab, ehe er eine andere Frage aussprach, die Mikela beschäftigte. »Wie bist du hier hereingekommen?«
Der Mann aus den Bergen stieg in seine Stiefel und richtete sich auf. »Das muss ich euch zeigen.« Er hob den Arm. »Alles auf die Treppe.«
Folgsam gingen sie um den Leichnam und die Blutlache herum und stiegen auf die unterste Stufe. Kral trat zu ihnen. Mikela beobachtete ihn. Seine Lider schlossen sich, seine Lippen bewegten sich lautlos.
Einen Augenblick später beugte er sich vor und betrachtete aufmerksam den Steinboden. Was immer er dort sah, schien ihn zufrieden zu stellen. Er wandte sich an die Gruppe. »Fasst euch an den bloßen Händen, und bildet eine lebende Kette. Niemand lässt los, was auch geschieht.«
Mikela fasste Krals Hand auf der einen und Tyrus’ auf der anderen Seite. Ni’lahn öffnete ihr Wams und band sich das Kind vor die nackte Brust, dann gab sie ihrem Nebenmann die frei gewordene Hand. Die Übrigen schlossen sich an.
Am Ende der Kette griff Mogwied nach dem Schwanz seines Bruders. »Fertig«, keuchte er mit piepsiger Stimme.
»Dann lasst uns gehen. Beim ersten Schritt kann einem schwindlig werden, also haltet euch gut fest.« Kral hob den Fuß, doch als er ihn wieder aufsetzte, fand er keinen Boden mehr. Er stürzte Hals über
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