Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
anderen Seite. Dahinter warteten Ferndal und Mogwied neben Mikelas reglosem Leichnam.
Doch Kral würdigte sie alle keines Blickes. Er hatte nur Augen für die Axt.
Tyrus missachtete Krals drohendes Knurren und riss die Haut der Gestaltwandlerin von der Klinge. Zum zweiten Mal musste Kral erleben, wie ihm die Magik entrissen wurde. Ohne sein Zutun zerfloss sein Fleisch, und er verwandelte sich in einen Menschen zurück. Er richtete sich auf, und als er nackt vor den anderen stand, streckte er fordernd den Arm aus. »Meine Axt.«
Tyrus hielt ihn mit dem Schwert auf Abstand. »Erst musst du mir ein Versprechen geben, Mann aus den Bergen.«
Kral ließ den Arm sinken. Mit bloßen Händen war er kein Gegner für den bewaffneten Prinzen. »Was für ein Versprechen?«
Tyrus wies mit seinem Schwert auf den Saal. »Wir haben dir geholfen, deinen Thron und dein Stammesgebiet zurückzuerobern.«
Kral sah auf Mikelas Leichnam nieder. »Ich weiß, was ihr getan habt. Ich mag ein Bösewächter sein, aber ich kenne den Preis, der hier in Blut entrichtet wurde. Ich gewähre euch freien Abzug. Keiner von euch hat etwas von mir zu befürchten.«
»Wir feilschen hier nicht um unser Leben.«
»Jedenfalls nicht nur«, quiekte Mogwied von hinten.
Tyrus tat so, als hätte er es nicht gehört. »Du bekommst die Axt nur zurück, wenn du schwörst, zuerst den Greifen damit zu zerstören.«
Kral schaute hinter sich. Das schwarze Wehrtor stand noch immer neben dem Eisthron. Die Schwingen des Monsters waren weit ausgebreitet. Das Maul mit den riesigen schwarzen Zähnen war zu einem stummen Wutschrei aufgerissen. Kral starrte in die roten Augen. Er spürte den Blick des Herrn der Dunklen Mächte, spürte auch dessen Zorn auf sein treuloses Geschöpf, aber er konnte nicht mehr zurück. Die Burg wäre nicht wahrhaft frei, und die Stämme seines Volkes könnten nicht wieder Einzug halten, solange das grauenvolle Bildnis noch hier stand.
Er wandte sich an Tyrus und sagte: »Ich werde tun, was du verlangst.«
Ni’lahn meldete sich zu Wort. »Ein guter Rat, Kral. Berühre die Statue nicht selbst. Sonst greift sie auf deine Elementarkräfte zu und entzieht deinem Körper alle Energie.«
»Ich verstehe.« Wieder wollte er nach der Axt greifen.
Tyrus zögerte noch immer. »Zuerst musst du schwören.«
Krals seufzte. »Ich schwöre beim Eisthron und bei meinem Blut als Angehöriger der Senta Sippe.«
Damit gab sich Tyrus wenn auch widerwillig zufrieden. Er legte die Axt auf den blutigen Granitboden und versetzte ihr einen Stoß, sodass sie Kral vor die Füße rutschte.
Sichtlich erleichtert bückte sich der Mann aus den Bergen und hob sie auf. Als er den Griff aus Hickoryholz in der Hand hielt, fragte er: »Wie kommt ihr darauf, dass es mir gelingen könnte?«
Tyrus’ Blick wanderte von Kral zu Mikela und wieder zurück. »Aufgrund der Prophezeiung.«
Krals Augen wurden schmal. Er hatte die Weissagung nicht vergessen, die Tyrus’ verstorbener Vater seinem Sohn hinterlassen hatte. Mikela sollte ihr Blut geben, und er sollte die Krone seines Volkes zurückgewinnen. Gemeinsam hielten sie den Schlüssel zum endgültigen Sieg in der Hand. Er nickte und wandte sich dem Greifen zu.
»Machen wir ein Ende.«
Mogwied sah, wie der nackte Mann mit der Axt in den Armen durch den Saal schritt. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, alle warteten gespannt, was nun passieren würde. Aber Mogwied hatte andere Sorgen. Was gingen ihn Wehrtore und alte Throne an? Er hatte die lange Reise angetreten, um ein Mittel gegen den Fluch zu finden, der ihn und Ferndal in ihrer Gestalt festhielt.
Die Prophezeiung.
Die Voraussagen des alten Königs Ry schienen sich alle um diese eine Nacht zu drehen. Mikela war gestorben. Kral hatte seinen Thron zurückgewonnen. Aber was war mit der Weissagung über die beiden Gestaltwandler?
Zwei werden erstarrt kommen; einer wird als Ganzer gehen.
Alle anderen beobachteten Kral über den Saal hinweg, als Mogwied sich abermals Mikelas Leichnam zuwandte. Er griff nach ihrem Umhang und schlug ihn zurück. Die Weissagungen über Mikela waren eindeutig mit denen über Krals Zukunft verknüpft. Daraus konnte man vernünftigerweise den Schluss ziehen, dass für die Voraussagen über Mogwied und Ferndal das Gleiche galt. Die drei Prophezeiungen bildeten ein Knäuel wie eine zusammengerollte Schlange.
Mogwied zog der Toten den Umhang von den Schultern. Die kleine Paka’golo kam zum Vorschein. Sie ringelte sich noch immer fest um
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