Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
etwas.«
Mogwied schlug die Augen auf. Er hatte Augen! Finger strichen über sein Gesicht. Er setzte sich auf, schaute an sich hinab. Er befand sich wieder in seinem Körper. Das sagten ihm auch seine Hände, als er sich betastete. Er war nackt und saß auf den Kleidern, die er eben noch getragen hatte, aber sein Körper war heil und vollständig.
Er spürte die Blicke der anderen, stand auf und bedeckte mit den Händen seine Blöße.
»Wo ist dein Bruder geblieben?« fragte Ni’lahn.
Mogwied sah sich um. Ferndal war verschwunden.
»Ich habe euch verschmelzen sehen«, sagte Ni’lahn. »Zu einer einzigen wogenden Fleischmasse.«
»Zwei werden eins«, flüsterte Mogwied und wandte sich den anderen zu. »Die alte Prophezeiung.« Er hob den Arm und konzentrierte sich. Der Knochen wurde so weich wie warme Butter. Als er den Befehl dazu gab, wuchs ihm bräunliches Fell. »Ich kann mich wieder verwandeln! Der Fluch ist gebrochen!«
»Und was ist mit Ferndal?« fragte Merik.
Mogwied sah sich noch einmal um. Sein Bruder war fort, kein Zweifel. Er unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Endlich. Mit dem Fluch hatte er sich auch Ferndal vom Hals geschafft.
Tyrus stand ein paar Schritte entfernt und sah zur anderen Seite des Saales hinüber. »Kral ist so weit.«
Merik und Ni’lahn drehten sich um.
Mogwied war wieder allein. Nachdenklich betrachtete er die kleine Schlange, die verkrümmt vor ihm auf dem Boden lag. Zwei werden erstarrt kommen; einer wird als Ganzer gehen.
Mogwied lächelte. Der eine war er.
Kral stand vor dem Greifen. Das riesige Wehrtor ragte mit ausgebreiteten Schwingen vor ihm auf. Das Löwenhaupt fletschte die gebogenen Reißzähne. Da der Mann aus den Bergen auf die dunkle Magik eingestimmt war, spürte er, wie deren Schwingungen den monströsen Schwarzsteinkoloss durchwogten. Sein eigener Herzschlag suchte sich dem Rhythmus anzupassen. Und darunter flammte das Brandmal des Herrn der Dunklen Mächte, die schwarze Rune im Fels seines Elementargeistes, hell auf.
Kral zögerte, seine Arme zitterten. Er riss sich von den rubinroten Augen des Greifen los und heftete den Blick auf den Granitthron seines Volkes. Das makellose Silbergrau war mit dem Blut des Zwergenkönigs befleckt. Kral umfasste seine Axt fester. Er durfte diese Chance nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Die Zitadelle, das Heim seiner Vorfahren, der Thron seiner Sippe sie mussten reingewaschen werden.
Er trat zurück, packte die Axt mit beiden Händen und schwang sie hoch über den Kopf. Obwohl er sich bewusst war, dass er mit dieser Tat dem Herrn trotzte, der ihm erst die Macht verliehen hatte, hier zu obsiegen, konnte er nicht aufhören. Die Schwelle war überschritten, es gab kein Zurück mehr. Er tat ein stummes Gelübde. Wenn dies erst vorüber war, wollte er alles tun, was der Schwarze Meister von ihm verlangte. Er würde die Hexe zur Strecke bringen und ihr Herz auf Gul’gothas Altar verbrennen. Seine sämtlichen Schulden sollten mit Blut beglichen werden.
Wieder wandte er sich dem Greifen zu. Die Ältesten seiner Sippe hatten ihn gelehrt: Sieh deinem Opfer immer ins Auge. Wenn du stark genug bist, ihm das Leben zu nehmen, musst du auch die Kraft haben, es dabei anzusehen. Diesen Grundsatz befolgte er auch jetzt. Er richtete den Blick fest auf die feurigen Augen und ließ seine Axt mit aller Kraft, aller Energie, die er in sich hatte, genau zwischen diese Augen niedersausen.
Die Wucht des Schlages war so groß, dass in seiner rechten Hand ein Knochen zersplitterte. Ein Klirren so hell wie Kristall schallte durch den ganzen Saal.
Kral schrie auf und wich zurück, aber der Grund dafür war nicht der Schmerz in seiner Hand. Er spürte, wie ihm förmlich das Mark aus den Knochen gerissen wurde. Als er die Axt abermals hob, hielt er nur noch den Griff aus Hickoryholz in der Hand. Die Eisenklinge war beim Aufprall auf das Wehrtor in tausend Stücke zersprungen. Die Schwarzsteinstatue indes war unversehrt.
Hinter ihm rief Tyrus: »Er hat versagt! Der Mann aus den Bergen hat versagt.«
Kral taumelte noch einen Schritt zurück. Er rang nach Luft. Seine Axt lag in Trümmern auf dem schwarzen Granit. Innerlich fühlte er sich ebenso zerschlagen, doch zugleich seltsam frei, als wären rostige Ketten von seinem Herzen abgefallen. Er starrte die Reste seiner Axt an. Der Schwarzsteinsplitter, den er darin verborgen hatte, war nirgendwo zu sehen.
Was war geschehen?
Kral erforschte sein Inneres. Die schwarze Rune auf seiner
Weitere Kostenlose Bücher