Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
schwelenden und verbrannten Leichen der Skal’ten. Nur ein einziges Neugeborenes kauerte noch unter dem Leib seiner Mutter. Sein wütendes Zischen war in klägliches Wimmern übergegangen. Die Mul’gothra beugte sich mit leisem Wehklagen über ihr letztes Junges, legte ihre Tentakel um das Neugeborene und zog es an sich, um es zu beschützen.
Er’ril trat an Elenas Seite. »Warum hast du aufgehört? Gib ihm den Rest!«
Elena biss sich auf die Unterlippe. »Ich … ich kann es nicht.« Sie hatte die winzigen Flämmchen der getöteten Bestien gesehen. Leben war Leben und auch diese Mutter beschützte nur ihre Brut. Die Mul’gothra stand im Banne der dunklen Magik. Sie wollte ihre Jungen nicht an das Wehrtor verfüttern, aber sie hatte keine andere Wahl. Eine stärkere Macht missbrauchte ihre Instinkte für widernatürliche Zwecke.
Elena trat auf das Monster zu und winkte mit der Hand. »Geh! Nimm dein Junges und verschwinde!«
Die Mul’gothra zischte sie an und beugte sich noch tiefer über ihren Sprössling, doch da kein Angriff erfolgte, ließ sie wieder dieses ängstliche, ratlose Winseln hören.
Elena schwenkte weiter den Arm. »Nun geh schon!«
Die Mul’gothra beobachtete sie aus tausenden von schwarzen Kugelaugen. Mit einem jähen Ruck löste sie die Beine von den Felswänden, fasste ihr Junges mit den Tentakeln, schoss aus dem Tunnel und schwang sich in die Lüfte. Ihre riesigen Schwingen entfalteten sich und fingen die nächtliche Brise ein. Sie flog einen engen Kreis, dann jagte sie über die schroffen Gipfel davon und verschwand in der Ferne.
»Warum hast du sie entkommen lassen?« fragte Er’ril.
Elena schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht anders.« Sie ging weiter. »Machen wir ein Ende.«
Gemeinsam stieg die Gruppe über die verkohlten Überreste der Skal’ten hinweg und trat in die Nacht hinaus. Elena holte tief Atem, um den Gestank nach verbranntem Fleisch loszuwerden. Vor ihr führte der ausgestreckte Arm der Granitstatue wie eine breite Brücke zu dem massiven Schwarzsteinblock in der Hand.
Diesmal ging Tol’chuk mit dem Try’sil voraus.
Elena und Er’ril folgten ihm.
Elena starrte in die Tiefe. Die Oberseite des Armes war flach und bequem zu begehen. Hier mussten sich Tragödien abgespielt haben, die ihre Vorstellungskraft überstiegen. Tol’chuk hatte das Handgelenk erreicht und blieb vor der steinernen Hand stehen. Die hässlichen Krallenfinger umschlossen den Schwarzstein wie eine Säulenreihe.
Elena trat an die Seite des Og’ers. »Du kannst es.«
Tol’chuk nickte. »Ich kann es.« Er drehte sich um, erkletterte die Steinhand, schwang mit der ganzen Kraft seiner Og’er Schultern den Hammer und ließ ihn mit den Worten »Das ist für die Seele meines Vaters!« niedersausen.
Aber der Schlag traf nie sein Ziel. Der Hammerkopf verschwand im Stein wie in einer Wolke. Tol’chuk verlor das Gleichgewicht, fiel vornüber und prallte gegen den schwarzen Block. Ohne sich von den Knien zu erheben, drehte er sich um und hob den Arm, doch er hielt nur noch den Griff mit den eingekerbten Runen in den Händen. Der Hammer selbst war nicht mehr da.
Hinter Elena warf Wennar sich zu Boden und heulte: »Der Try’sil!«
Elena starrte den Schwarzstein an. Er war unbeschädigt. Was war geschehen? Mit diesem Hammer war einst der verfluchte Stein behauen worden. Es war seine Bestimmung, hierher zurückzukehren und die Zwerge vom Joch des Herrn der Dunklen Mächte zu befreien. Warum hatte er versagt?
Für einen winzigen Moment schlich sich ein Verdacht gegen Tol’chuk in ihr Herz, aber sie verdrängte den Gedanken sofort. Ausgeschlossen. Der Og’er hatte ihr so oft das Leben gerettet und sich stets von ganzem Herzen in den Dienst des Landes gestellt.
Wennar war mit Tol’chuk freilich nicht so vertraut. Der Zwerg sprang auf und deutete anklagend auf den Og’er. »Du! Was hast du getan? Du bist nicht besser als dein verfluchter Vorfahr! Du hast unser Volk zum Untergang verdammt!«
Tol’chuk schlug die Hände vor das Gesicht.
Bevor Wennar sich auf den Og’er stürzen konnte, hob Elena den Arm und trennte die beiden. »Nein! Es ist nicht seine Schuld!«
»Wessen Schuld ist es denn?« schrie Wennar mit puterrotem Gesicht.
Er’ril stellte sich neben Tol’chuk und erwiderte: »Wir alle tragen die Verantwortung.«
Wennar wollte auffahren, da legte Magnam seinem Anführer beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Lass ihn reden.«
Er’ril wandte sich ihnen zu. »Wir haben versagt,
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