Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
verschiedene Kleinigkeiten auf, Beweise dafür, dass sich jemand hier unter der Burg so etwas wie ein Zuhause geschaffen hatte. Über dem einzigen Bett, das bezogen war, hingen ein paar persönliche Dinge an der Wand. Ein Ölgemälde, nicht größer als ihre Hand, zeigte eine lächelnde Frau auf einem prächtigen kastanienbraunen Hengst. Um das Bild war ein kostbares Zaumzeug drapiert. Das Leder wurde offenbar regelmäßig gefettet und glänzte im schwachen Licht. Das Metallgebiss blitzte hell. Wahrscheinlich Silber, dachte Elena. Sie prägte sich diese Spuren genau ein, es waren Reste eines Lebens vor dem Überfall der Gul’gotha Horden, vor der Zeit der Narben und Verstümmelungen. Zum tausendsten Mal gelobte sie sich, solchen Qualen ein Ende zu bereiten. Alasea hatte genug gelitten.
Endlich lenkte Gost mit einem knurrenden Laut ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der Mann mit dem Narbengesicht nickte befriedigt und hielt einen langen Schlüssel in die Höhe. Dann ging er, die Laterne in einer, den Schlüsselbund in der anderen Hand haltend, zu einer Tür auf der anderen Seite und schloss sie auf.
Die drei betraten einen Gang, von dem in langer Reihe niedrige Türen abgingen. Er’rils Miene verfinsterte sich. Er stolperte sogar. Elena fiel wieder ein, dass er selbst noch vor kurzem in einer dieser Zellen gesessen hatte. Jetzt standen die meisten offen. Nach dem Sieg von A’loatal waren die Verliese geleert worden. Leider hatte man viele Opfer des Herrn der Dunklen Mächte töten müssen. Grotesk entstellte Geschöpfe, die sinnlos grölend in ihren eigenen Exkrementen lagen. Früher waren es Menschen gewesen, doch dann hatte ihnen die schwarze Magik langsam den Verstand zerstört.
Gottlob führte Gost sie an diesen Löchern vorbei zu einer Gabelung und in einen anderen Korridor. Die größeren Zellen hier waren für eine Vielzahl von Gefangenen bestimmt. Anstelle von Türen gab es Eisengitter, deren Stäbe so dick waren wie ein Männerarm.
Gost führte sie zu der Zelle in der Mitte. Sie war so groß wie ein kleiner Ballsaal. Die einzigen Gefangenen, die jetzt noch die Verliese bevölkerten, hatten darauf bestanden, gemeinsam untergebracht zu werden. Elena hatte der Bitte stattgegeben. Wie hätte sie ablehnen können? Eigentlich war sie überhaupt gegen die Gefangenschaft gewesen. Die einstigen Gegner hatten ihr nach dem Krieg Treue und Gefolgschaft geschworen. Aber ihre Verbündeten, darunter auch Er’ril, misstrauten ihnen noch immer und gingen nicht von der Forderung ab, sie in den Kerker zu stecken.
Elena trat an das Gitter und stellte erfreut fest, dass die Zelle sauber war. Man hatte sogar eiserne Kohlebecken aufgestellt, um die feuchte Luft zu erwärmen und den Raum etwas anheimelnder zu machen. Gost war offenbar nicht unmenschlich zu seinen Schutzbefohlenen.
Zwischen den Kohlebecken kauerten unförmige Gestalten. Einige hatten sich in Decken gewickelt und schnarchten, andere tuschelten miteinander. Sie reichten Elena nur bis an die Schulter, waren aber dreimal so schwer wie sie. Reine Kraftpakete, die nur aus Muskeln und Knochen bestanden. Als sie hörten, wie Elenas Schritte vor ihrer Zelle anhielten, wandten alle das Gesicht zur Tür und sahen ihr mit schmalen Augen unter dichten Brauen entgegen.
»Und wenn sie tausend Eide schwören«, murrte Er’ril. »Ich traue keinem Zwerg.«
Elena trat näher. »Gibt es überhaupt jemanden, dem du vertraust?« gab sie zurück.
Der Anführer der Zwerge, ein Greis mit einer alten Narbe, die sich vom Scheitel bis zum Unterkiefer zog, trat an die Stäbe und kniete rasch nieder. Sein Kopf war kahl, aber dafür hingen ihm die Spitzen seines langen grauen Schnurrbarts bis über das Kinn herab. »Herrin Elena«, sagte er und neigte den Kopf noch tiefer. »Wie kann ich dir dienen?«
Elena wurde rot vor Scham. Der kniende Gefangene erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit den Kriegern. Damals war Wennars gesamte Truppe, bewaffnet mit schweren Äxten und geschützt von verzauberten Rüstungen, die nicht zu durchdringen waren, auf die Knie gefallen aber nicht vor ihr, sondern vor dem Try’sil, dem mit Runen gezeichneten Hammer des Donners, den sie in Händen trug. Der Anblick ihres alten Talismans hatte genügt, um diese harten Krieger dem Einfluss des Herrn der Dunklen Mächte zu entreißen.
Sie gab Gost einen Wink. »Kannst du bitte das Gitter öffnen?«
Gost gehorchte sofort. Der Schlüssel rasselte im Schloss.
»Ist das klug?« fragte Er’ril, stellte sich dicht
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