Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Taue wie ein Mensch über die Planken eines gewöhnlichen Schiffes.
Seufzend richtete er den Blick in die Ferne. Auf der anderen Seite des Hafens schwebte zwei Stockwerke hoch über dem Wasser das Schwesterschiff der Wilder Adler die Sturmschwinge unter dem Kommando von Kapitän Merik. Ihr magikgeladener Eisenkiel glühte wie eine brennende Kohle und hielt das Schiff mit seinen Elementarkräften in der Luft. Auch dort herrschte reges Treiben unter dem Kiel, denn die Sturmschwinge wurde für den Flug in Alaseas nördliche Breiten vorbereitet. Kast konnte selbst aus dieser Entfernung den Elv’en zwischen seiner Besatzung auf dem Deck stehen sehen, zu der auch drei dunkelhäutige Zo’ol Krieger gehörten, die ihn auf der Suche nach Elenas Gefährten begleiten sollten.
Die Symmetrie war unverkennbar. Zwei Brüder, zwei Schiffe, zwei Aufträge. Der eine flog nach Norden, der andere nach Süden. Aber wie würde das Abenteuer enden? Mit zwei Siegen oder mit zwei Niederlagen?
Bloße Füße kamen über die Holzplanken und rissen ihn aus seinen Gedanken. Saag wan trug einen Anzug aus gefleckter Haifischhaut, aber sie hätte ebenso gut nackt sein können. Das dünne Material verbarg weder die Wölbung ihrer Brüste noch die Rundung ihrer Schenkel. Als sie Kasts Blick begegnete, lächelte sie, ohne sich ihrer aufreizenden Wirkung bewusst zu sein.
Freilich waren nicht alle dafür blind. Richald, der Kapitän des Elv’en Schiffes, ging neben ihr, und Kast beobachtete, wie der Elv’e sich vergeblich bemühte, Saag wan nicht mit seinen Blicken zu verschlingen. Seine blassen Wangen waren leicht gerötet, und immer wieder wanderten seine Augen wie von selbst zu seiner Begleiterin. Offenbar floss doch nicht nur Eiswasser in den Adern der Elv’en Prinzen.
Saag wan schmiegte sich unbefangen an Kast und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Kast legte fest den Arm um ihre Hüfte, um ganz deutlich zu machen, dass ihr Herz ihm gehörte und niemandem sonst.
Richald räusperte sich und richtete den Blick entschlossen auf den Himmel. »Alles läuft nach Plan. Wir brechen auf, sobald es hell wird.«
Kast nickte. »Auch Merik kommt offenbar gut voran.«
Richalds Züge verhärteten sich, er sah mit schmalen Augen zur Sturmschwinge hinüber. »Zum Glück hat mein Bruder eine vorzüglich ausgebildete Besatzung.« Der Elv’e war offensichtlich nicht bereit, Merik diesen Umstand als Verdienst anzurechnen.
»Aber die Besatzung ist immer nur so gut wie ihr Kapitän«, murmelte Kast.
Richald ballte die Faust. »Man wird ja sehen. Mein Bruder war zu lange auf festem Boden. Warten wir ab, wie er sich in den leeren Weiten des Himmels bewährt.«
»Dein Bruder macht seine Sache sicher gut«, sagte Saag wan und drückte Kasts Arm. Dann rückte sie ein wenig von ihm ab
ein stummer Vorwurf, weil er Richald provoziert hatte. »Ich muss los. Meine Mutter erwartet mich.«
»Du willst schon fort?« fragte Kast überrascht. »Was ist mit Elenas Ratsversammlung?«
»Da bin ich überflüssig. Unser Volk wird ja von Meister Edyll vertreten.« Sie nickte zu den beiden Masten der Wilder Adler hinauf. »Außerdem steht unser nächstes Ziel bereits fest. Und wenn wir in aller Frühe aufbrechen wollen, bleibt mir nicht viel Zeit, um mich von meiner Mutter zu verabschieden.« Sie trat an die Reling. »Wenn es dunkel wird, bin ich zurück.«
Doch so einfach wollte Kast sie nicht gehen lassen. Er griff nach ihrer Hand, zog sie an sich, schloss sie in die Arme und sah ihr tief in die Augen. »Ich erwarte dich noch vor Sonnenuntergang«, flüsterte er ihr so leise ins Ohr, dass niemand sonst es hören konnte. »Wir müssen doch unser neues Bett einweihen.«
Sie wurde rot. Er beugte sich hinab und küsste sie. Ihr Mund war so warm wie ihre Wangen. Ohne die Lippen von den seinen zu lösen, hauchte sie: »Keine Sorge, mein Drache. Ich werde kommen.« Damit löste sie sich aus seinen Armen und fuhr rasch mit dem Finger die Tätowierung an seiner Wange nach. Die Berührung brannte wie Feuer auf seiner Haut.
Wieder wandte sie sich der Reling zu.
Von der Burg tönten Fanfarenstöße herüber. Der Rat wurde zusammengerufen.
»Ich muss los«, wiederholte sie.
Kast blieb nichts weiter zu sagen, und so hob er zum Abschied nur grüßend die Hand.
Saag wan ging an die Leeseite, stieg über die Reling und sprang, ohne sich noch einmal umzusehen, in die Tiefe.
Kast beugte sich über den Rand und schaute hinab. Nur ein paar Luftblasen zeigten, wo sie
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