Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
schwinden, das Zwergenheer zu retten aber er konnte nicht einfach aufgeben, ohne wenigstens einen Versuch unternommen zu haben. Vielleicht nutzte es etwas, die Magik, die hier wirksam war, besser zu verstehen? »Raal«, rief er.
Die Steinfigur drehte sich zu ihm um.
»Ich würde gern zusehen, wie du einen deiner Fai ne erschaffst.«
Raal winkte ab. Dabei fiel eines seiner Geschöpfe zu Boden und heulte los, aber er achtete nicht darauf. »Ich habe schon genug Kinder zu versorgen.«
»Auf eines mehr oder weniger kommt es doch nicht an. Oder kannst du keine mehr zum Leben erwecken?«
Raals Augen wurden schmal. »Du zweifelst an mir …« Das klang nach einer versteckten Drohung.
Tyrus hielt den Atem an. Es war ein kritischer Moment. Hunderte von Augenpaaren betrachteten ihn wie ein Schwarm Krähen einen Wurm. Ein Wort von ihrem König, und das üble Volk würde ihn in Stücke reißen und mit ihm ein grausiges Festmahl veranstalten. Doch hinter Raals drohender Miene entdeckte er andere Gefühle: Einsamkeit und Angst.
Tyrus dämmerte es allmählich. Wie lange war es her, seit jemand mit dem Magus oder mit Raal ein Gespräch geführt hatte? Die Horde zu seinen Füßen war ohne Verstand, Ausgeburten des Wahnsinns, die er zum Leben erweckt hatte. Keine Gesellschaft, die ihn befriedigen konnte.
»Komm mit nach oben«, sagte Raal nach einer Weile. »Dann zeige ich dir, wozu ich imstande bin.« Er schritt durch die Schar der Fai ne. Die kleinen Geschöpfe kletterten an seinen Beinen hinab und stürmten vor ihm die Treppe empor.
Tyrus folgte ihm. Etliche Nachzügler, die langsamer hinter ihm herschlurften oder krochen, waren ihm nicht geheuer. Der Biss in den Daumen schmerzte noch immer. Er war entschlossen, sie nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen. Vor ihm krabbelte eher unbeholfen ein kleines Geschöpf, das aussah wie eine sechsbeinige Spinne. Er überholte es und eilte Raal und seiner Fackel nach.
Oben angelangt, begaben sie sich zu einem Raum mit einer großen kalten Feuerstelle. Durch ein zerbrochenes Fenster fiel ein wenig Sonnenlicht herein. Raal steckte die Fackel in einen Schlitz? in der Wand und forderte Tyrus mit einer Handbewegung zum Eintreten auf.
Auf einen Wink ihres Herrn eilten die Fai ne voraus und kletterten auf Stühle, Tische und Bänke. Dabei stießen sie mehrere Schüsseln von einem Bord, die klirrend zerbrachen. Tyrus schrak zusammen. Einige der Geschöpfe waren durch die Feuerstelle gelaufen und hinterließen nun überall winzige Aschespuren.
Raal war verärgert. »Sie finden es aufregend, Besuch zu haben.«
»Das sehe ich.«
Die Horde scheuchte eine Waldratte auf. Sie flüchtete über den Steinboden, aber sie hatte den Raum noch nicht einmal zur Hälfte durchquert, als die Fai ne über sie herfielen und sie in Stücke rissen. Sie quiekte noch einmal auf, dann war sie unter den vielen Klauen und Zähnen verschwunden.
Raal ging zu einem Arbeitstisch an der hinteren Wand. Verschiedene Metallwerkzeuge Tyrus erkannte Schnitzmesser, Ahlen und Meißel lagen auf der Platte oder hingen an Pflöcken darüber. Auf dem Tisch lagen bearbeitete Stücke versteinerten Holzes in unterschiedlichen Stadien der Vollendung.
Raal zeigte auf ein Werkstück. »Damit war ich beschäftigt, bevor der Magus das letzte Mal die Herrschaft über den Körper übernahm.« Das versteinerte Holz war grob in Form eines Hundes bearbeitet worden. Man konnte sogar schon erkennen, dass er die Zähne fletschte.
Raal nahm eine spitze Ahle und setzte sein Werk fort. Er bohrte und schabte, wechselte das Werkzeug, widmete sich erst der einen, dann der anderen Seite. Tyrus verhielt sich ganz still, um ihn nicht zu stören.
Durch das offene Fenster sah er die Sonne untergehen. Die Dämmerung brach herein. Und immer noch arbeitete die eine Statue an einer anderen.
Tyrus nutzte die Zeit, um sich einen Plan zurechtzulegen. Falls Raal tatsächlich imstande wäre, Stein in Fleisch zu verwandeln, brauchte er ihn nur dazu zu bringen, den Bann zu brechen, unter dem die Zwerge standen. Aber was hätte er diesem Wahnsinnigen dafür anzubieten?
Dann war der Schnitzer fertig, und Tyrus hatte noch immer keine eindeutige Antwort gefunden. »Das muss genügen«, sagte Raal. »Die Stimme ist nicht leicht zu hören, wenn das Holz versteinert ist.«
Der Magus hatte sich ähnlich geäußert, erinnerte sich Tyrus. Das Holz spräche zu ihm, hatte er behauptet, es sage ihm, was es werden wolle. Tyrus starrte das Bildnis an. Es hatte
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