Alba und Albion
schritt ich noch näher auf ihn zu, blieb unmittelbar vor seinem gesenktem Kopf stehen und strich ihm leicht über die Haare.
„Wie kann ich dir etwas vergeben, das du nicht zu verantworten hast?“
Mit einem Ruck stand er auf. „Was sagst du da?“
Ich hob meine Augen und blickte in die Seinen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, seine Augen feucht und ich flüsterte ihm leise zu. „Du hast es nicht gewußt.“
Lange blickten wir uns an. Dann nickte er langsam.
„Nein. Ich habe es nicht gewußt. Aber ich hätte dich nicht gehenlassen dürfen.“ Seine Trauer war unüberhörbar. „Ich hätte -“
Mein Finger hinderte ihn am Weitersprechen.
„Sch-sch.sch. Es ist nicht deine Schuld. Niemand von uns vieren hat Schuld.“
Mit gesenktem Kopf und mit herabhängenden Schultern erhob er sich langsam und stand vor mir.
„Doch, das habe ich. Wenn auch nur zum Teil.“
Er seufzte und in seiner leisen Stimme lag etwas Flehendes. „Sag mir, was ich tun soll!“
Und plötzlich wurden mir die Augen geöffnet und ich erkannte seinen Schmerz, sah sein trauriges Gesicht, sah, wie er vor mir stand. Hilflos, traurig, erschüttert und - allein.
Ein übermächtiges Gefühl der Liebe und der Zusammengehörigkeit erfaßte mich. Vorsichtig tastete ich mich vor, legte meinen Finger sanft auf seine Wange, als er mir traurig ins Gesicht blickte und nun auch erkannte, daß ich bereit war für seine Nähe, seine Umarmung. Zögernd berührte er mich an den Schultern und dann ging alles ganz schnell.
Wir lagen uns in den Armen, ich weinte mir den Schmerz an seiner Brust heraus, während auch er mit bebenden Schultern sein Gesicht in meinen Haaren vergrub.
Wir küßten uns hilfesuchend, fanden den Halt, den wir so bitter nötig hatten und setzten uns schließlich auf den Boden, da unsere Beine zu schwach geworden waren, um uns aufrecht zu halten. Wieder und wieder streichelten wir uns über das Gesicht, fuhren mit den Fingern durch die Haare, küßten jeden Teil des Gesichts und waren froh, endlich einander berühren zu können.
Als die Tränen versiegten und wir uns gegenseitig fest umarmt hielten, gab es nur die einzig wahren Worte.
„Verlaß mich nicht.“
Und langsam ging die Sonne wieder auf.
33
Blutende Herzen
„Alisa. Bitte wach auf!“
Sanft berührte ich ihr tränenverschmiertes Gesicht, strich ihr das nasse Haar zurück, als sie endlich die Augen aufschlug. Verwirrt blinzelte sie in die Runde, erkannte mich aber schnell wieder und fiel mir schluchzend in die Arme.
„Ich hab von der schrecklichen Nacht geträumt.“
Behutsam streichelte ich ihre Haare und versuchte, den zerfetzten Stoff ihrer Bluse zusammen zu knoten.
„Ja. Ich weiß. Jetzt war es aber nur ein böser Traum.“
„Aye.“ Sie schniefte. „Wann hört das nur auf?“
„Die Zeit wird es richten.“ Robbie saß uns gegenüber, starrte uns beide an und ließ die Arme locker auf den angewinkelten Knien baumeln. „Glaub’ mir, Mädel, ich weiß es.“
Ich wußte, was er damit meinte. Für ihn waren die schrecklichsten Zeiten seines Lebens die Jahre im Gefängnis gewesen und er war darüber hinweg gekommen.
„Aye?“ Undamenhaft wischte sie sich mit der Hand über die Nase und schniefte laut.
„Vielleicht ist es dir ein Trost, wenn ich dir sage, daß einer der Bestien bereits dafür gezahlt hat.“ Er hob die Hand, als sie etwas einwenden wollte. „Nicht der, den du -“
Er blickte in ihr versteinertes Gesicht und fügte sanft hinzu: „Nein. Ein Anderer. Der Zweite, wenn du so willst.“
„Und was ist passiert?“
„Er lag neben seinem Freund, als wir uns davonmachten.“
Ohne Regung und mit einem Blick, der mir zu verstehen gab, zu schweigen, sprach er fast gelangweilt und mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
Tonlos formte ich das Wort: „Tot?“ und Robbie nickte unmerklich mit den Kopf.
„Und der Dritte?“, fragte ich laut.
Eine brummige Stimme hinter uns ließ uns auffahren. „Den kriegen wir auch noch.“
Erschrocken blickte ich zu Seamus, der sich geräuschlos zu uns ans Feuer setzte. Verdammt, wie machte er das nur, daß er ständig wie aus dem Nichts auftauchte!
„Dafür müßt ihr aber erst einmal wissen, wer das ist.“
„Das wissen wir“, raunte er grinsend zurück und legte fünf kleine schlaffe Hühnervögel auf den Boden.
Ungläubig wechselte mein Blick zwischen Seamus und Robbie und auch Alisa hatte sich aufgesetzt und starrte genauso. Robbie hingegen nahm seinen Dolch und prüfte mit dem Daumen
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