Alba und Albion

einflößt?“
    Ohne eines weiteren Wortes erhob er sich und schritt zum Tisch, an dem ein silbernes Glöckchen stand. Provozierend blickte er zu mir, als er es schwang und der helle Klang erfüllte den Raum. Sekunden später trat ein Diener ein, ein alter Knabe und etwas gebückt, jedoch machte er einen genauso resoluten Eindruck, wie mein Peiniger.
    „Sir?“
    Statt einer Antwort winkte er ihn zu sich. „Nun, Mylady? Benötigen Sie Unterstützung?“
    Mir war klar, daß ich keine andere Wahl hatte, als es hinunter zu kippen. Mutig hob ich es an meine Lippen und trank. Was sollte ich sonst machen? Tränen stiegen in mir auf und während sich die Wirkung der bitteren Mixtur in meinem Körper ausbreitete, dachte ich nur eines: Robbie, hilf’ mir!
    Minutenlang spürte ich außer der gewohnten Wärme des Whiskys gar nichts. Dann wurde ich tatsächlich ruhiger, etwas schläfrig, weigerte mich jedoch hartnäckig, die Augen zu schließen, was der Fremde bemerkte.
    „Entspannen Sie sich. Schließen Sie Ihre Augen.“
    Seine Stimme hatte einen warmen Klang und schien plötzlich von weit her zu kommen, doch noch immer verstand ich den Sinn seiner Worte und schüttelte den Kopf.
    „Ihre Augen werden schwer, Sie haben nur noch einen Wunsch: zu schlafen. Schlaf ein, Susanna, du bist unsagbar müde und siehst vor dir eine wunderschöne grüne Wiese.“
    Was redete er denn da? Seine Worte begannen, mich wohlig einzulullen, ebenfalls seine Stimme, die in einer gleichbleibenden, tiefen Tonlage gehalten war. Mühsam wehrte ich mich gegen die Schläfrigkeit. Zwei kräftige Arme hoben mich aus dem Sessel und ich lag plötzlich auf einer bequemen Unterlage, die Augen zentnerschwer.
    Oh nein, dachte ich. Bitte nicht!
    Doch nichts passierte. Stattdessen spürte ich die leichte Decke, die über mich gebreitet wurde.
    „Was sehen Sie, Susanna?“
    „Nichts.“
    „Horchen Sie in sich hinein und sagen Sie mir, welche Bilder auftauchen.“
    Ich verstand kein Wort von dem, was er faselte. Welche Bilder?
    „Schauen Sie tief in sich hinein, Susanna. Es tauchen Bilder auf, sie werden immer klarer und klarer. Sie können nun erkennen, was sich hinter dem Dunstschleier befindet. Was sehen Sie, Susanna?“
    Tatsächlich sah ich hinter meinem geschlossenen Augen etwas auftauchen, was wie Bilder anmutete. Erst verschwommen, dann klarer und heller. War es das, was er meinte?
    „Ich sehe eine Wiese. Eine große weite grüne Wiese.“
    „Wie sieht sie aus, Susanna?“
    Da er mich stets mit meinem Namen ansprach, verhinderte er, daß ich tatsächlich ins Reich der Träume hinabrutschte.
    „Blumen. Ich höre die Vögel. Es - es sind Krähen. Und blühende Bäume. Und Heidekraut.“
    „Gut. Ist es Frühling?“
    „Ja.“
    „Wie ist das Wetter?“
    „Es regnet. Nein, es schneit etwas. Und es ist windig.“
    „Sehen Sie Menschen?“
    Angestrengt suchte ich, nach was er fragte.
    „Ja. Nein.“ Ich stockte. „Ich sehe - Leichen. Viele tote Menschen, nein, es sind nur Männer.“
    „Sind sie wirklich tot?“
    „Es ist überall Blut!“ Ich begann, schneller zu atmen. „Und dort! Da steigt Rauch auf, nein, es sind mehrere Feuer angezündet. Das wird ‘was verbrannt.“
    „Ganz ruhig, Susanna. Was wird verbrannt?“
    „Ich weiß nicht.“
    „Doch, du weißt es. Was wird verbrannt, Susanna?“
    Die Stimme wurde nun lauter und fordernder und ängstigte mich. Trauer machte sich in mir breit und die Tränen rannen aus meinen geschlossenen Augen.
    „Menschen.“
    Mein Peiniger antwortete nicht. Auch er schien geschockt. „Äh, gut. Also. Es regnet oder schneit, es ist windig und es liegen viele tote Männer auf dem Boden. Ist das so richtig, Susanna?“
    „Hier ist soviel Blut.“
    „Wird hier gekämpft?“
    „Ich weiß nicht …“
    „Streng dich an, Susanna!“
    „Nein. Kein Kampf mehr. Es ist viel Qualm. Hohe Feuer. Schwarze Vögel. Es kämpft niemand. Es ist -“
    Und plötzlich war es da!
    Dieses knallende Geräusch, das nur aus einer Kanone kommen konnte, ich hörte die Schreie der Kämpfenden und Verletzten, hörte entfernt die Musketen knattern, roch den Qualm, der mich irrsinnigerweise an die Küchendüfte in Taylorgate erinnerten. Mein Herz schlug immer schneller, mein Puls raste, daß ich jeden Schlag wie ein Trommeln in meinen Ohren hörte. Wie in Zeitlupe knallte schließlich eine Sonnenschwere Kanonenkugeln die Menge von Menschen. Körper fielen um, Körperteile folgen durch die Luft und jetzt wußte ich, woher die