Albert Schweitzer
sind die größten Idioten, die es gibt. Und die dumme antisemitische Einstellung der Rechtsparteien ist tief bedauerlich. Denn sicherlich werden die einst die Übermacht bekommen, da die deutsche Demokratie in ihrerSimpelhaftigkeit nicht lebensfähig ist“ (zitiert nach Oermann). Klare, deutliche Worte, die sich nur allzu bald bitter bewahrheiten sollten.
Ohne sich öffentlich in die politische Debatte einzumischen, versuchte Schweitzer, Menschen, die ihm gefährdet schienen, zur Auswanderung zu bewegen. Mit den nach wie vor regelmäßig und gut fließenden Einkünften aus seinen Büchern konnte er etliche Familienangehörige und Freunde finanziell unterstützen. Helenes Königsfelder Konto wurde von den Nazis bald gesperrt, eine Beschlagnahmung des Hauses schien nur noch eine Frage der Zeit.
Im April 1933 reiste Schweitzer erneut – diesmal für etwas mehr als neun Monate – nach Lambarene und fand das Spital in gutem Zustand vor. Die Arbeit ging gut vonstatten, die anwesenden Ärzte und das Hilfspersonal bewältigten den Spital-Alltag zuverlässig und mit gutem Erfolg. Doch es zeichneten sich, verursacht durch die immer angespanntere politische Lage in Europa, finanzielle Engpässe ab, ein Problem, das sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dramatisch verschärfen sollte.
Um sich um seine Familie zu kümmern und um Einladungen zu Vorträgen in Oxford, London, Edinburgh nachzukommen, reiste Schweitzer im Januar 1934 nach Europa zurück. In Oxford und kurz darauf in London hielt er die sogenannten „Hibbert Lectures“ zum Thema „Das religiöse Moment in der modernen Kultur“, in Edinburgh waren es die „Gifford Lectures“ mit der Thematik„Das Problem der Naturtheologie und Naturethik“.
Seinen sechzigsten Geburtstag am 14. Januar 1935 feierte Schweitzer mit Frau und Tochter unter großer öffentlicher Anteilnahme in der Schweiz. Dort waren ihm und Helene einige wenige Tage der Ruhe und des Beisammenseins vergönnt. Direkt von Montreux aus reiste Schweitzer im Februar 1935 nach Lambarene – inzwischen zum fünften Mal. Die Arbeit im Spital nahm ihn wieder voll in Anspruch. Doch Schweitzer beendete diesen erneuten Aufenthalt noch im gleichen Jahr; im August kehrte er nach Europa zurück. Immer deutlicher wurde ihm, dass die Kriegsgefahr wuchs und es daher ratsam schien, für die Versorgung Lambarenes mit den wichtigsten Medikamenten Sorge zu tragen.
1935 erschien Schweitzers Buch „Die Weltanschauung der indischen Denker“. Schweitzer stellte in diesem Werk die verschiedenen geschichtlichen Strömungen des indischen Denkens dar und gelangte am Ende zu einer Darstellung des „neuindischen Denkens“, in deren Verlauf er auch respektvoll auf Mohandas Karamchand (Mahatma = große Seele) Gandhi (1869–1948) zu sprechen kam. Über ihn sagte er unter anderem: „Nie zuvor hat sich ein Inder in solchem Ausmaß für konkrete Fragen interessiert wie Gandhi. Andere haben sich meist damit begnügt, eine wohltätige Haltung gegenüber den Armen zu fordern. Er jedoch – und damit gleicht er in seinem Denken ganz einem modernen Europäer – will die wirtschaftlichenZustände ändern, die die Ursache der Armut bilden.“ In dem von Gandhi vertretenen Ahimsa-Gebot [= Nicht-Gewalt, Nicht-Töten] sah Schweitzer durchaus Parallelen zu seiner Ehrfurchtsethik, denn Gandhi hat dieses ursprünglich passiv gemeinte Gebot im Sinne des Nicht-Tuns ausgeweitet „zu dem Gebot, umfassendes Mitleid zu üben“. Dies entspricht der Grundhaltung der Lebensbejahung und geht damit weit über alte indische Philosophie hinaus. In Gandhis Lehre vom gewaltlosen Widerstand und zivilen Ungehorsam sah Schweitzer „das Flussbett für die strömenden Fluten des Geistes der Liebe“.
Es war Schweitzers Ziel, die Denksysteme der gesamten Menschheit ebenso ausführlich wie das der indischen Denker darzustellen. Sein Engagement für die Abschaffung der Atombomben und der damit verbundene hohe zeitliche Aufwand verhinderten, dass er die Verwirklichung dieser schriftstellerischen Aufgabe erleben konnte. In seinem Nachlass findet sich immerhin seine als Fragment hinterlassene „Geschichte des chinesischen Denkens“ (2002).
1936 machte Schweitzer in Europa Schallplattenaufnahmen. Im Februar des folgenden Jahres brach er zum sechsten Mal nach Afrika auf, wo er bis zum Januar 1939 blieb. Helene, die ihren Mann auch auf dieser Reise nicht begleiten konnte, war mit Tochter Rhena im Oktober 1937 nach New York gereist, traf dort neben
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