Albspargel
übersichtlichsten Weg über Huldstetten und die B 312 nach Tigerfeld und dann weiter nach Pfronstetten, sondern den Weg, den wir gekommen waren, über das Geisinger Hart und die Kiesgrube im Annaleu.
Weshalb? Ich stellte mir diese Frage im Vorwärtsschreiten. Fand aber keine sinnvolle Erklärung. Hatten mich Amelies Schuhe in der Kiesgrube so verwirrt?
Ein befestigter Feldweg führt von der Straße nach Kettenacker weg durch das Geisinger Hart zum Annaleu und von dort auf dem Hauler Weg nach Tigerfeld. Das Geisinger Hart ist eine unübersichtliche hügelige Gegend mit Wald, der von Äckern und kleineren Trockenrasenflächen durchsetzt ist.
Die Nacht war sehr dunkel, Landregen, nicht sehr kalt. Aber was heißt auf der Alb bei Regen im Oktober nicht sehr kalt? Gelegentlich frischte der Wind auf und schlug mir die Tropfen ins Gesicht. Aber ganz finster war die Nacht nicht: Es herrschte trotz Nacht und Regen ein ungewisses Licht, das die Umgebung wenigstens schemenhaft erkennen ließ.
Zwei, drei Autos kamen mir entgegen und blendeten mich. Dennoch fand ich den Feldweg, der zum Geisinger Hart abzweigte.
Der Regen wurde stärker, aufkommende heftigere Windstöße zeigten, dass er bald in einzelne, wahrscheinlich recht starke und kalte Schauer übergehen würde. Ich zog das Genick ein und griff mit den Schritten so kräftig aus, wie es in der Dunkelheit irgend möglich war. Eineinhalb Stunden wäre ich mindestens unterwegs, rechnete ich mir aus und verfluchte Franziska, jedes Detektivspiel und meine seltsamen Spontanreaktionen.
Das Geisinger Hart wie auch das angrenzende Huldstetter Hart sind erschlossen durch ein Gewirr von Feldwegen. Dass ich vom Weg abkam, bemerkte ich lange Zeit nicht. Plötzlich stapfte ich durch Gras. Der Regen nahm an Kraft zu. Windböen.
Wo war ich hingeraten? Dem aufkommenden Gefühl von Unsicherheit konnte ich leicht entgegengetreten. Ich war Fachmann für Windströmung und konnte die Richtung, in die ich gehen musste, nach dem Wind bestimmen.
So stolperte ich durch das Geisinger Hart auf weglosem Grund, aufgeweichtem Waldboden und stapfte durch frisch gepflügte Äcker. Aber ich wusste die richtige Richtung!
Im Fall Amelie wusste ich sie nicht. Die Informationen hatten dort aufgehört, wo sie ergiebig geworden wären. Franziska hatte der Tante und mir einen Strich durch die Erwartungen gemacht. Warum? Auch das war klar. Material musste zurückgehalten werden, um mich weiter erpressen zu können: Zwei zu null für Franziska!
Sie zweifelte an meiner »Vertragstreue«, mit Recht?
Viel entscheidender war: Die Tante musste etwas gesagt haben, das für mich wichtig war, sehr wichtig! Franziskas Reaktion hatte es bewiesen. Aber was?
Ich stapfte immer weiter, kam ab und zu auf einen Weg und musste ihn wieder verlassen, weil er in die falsche Richtung führte.
Franziska hatte mich stehenlassen, bei Nacht, Regen und Wind. Das gute Kind neigte zur Überreaktion. Wenn es sich auch sonst bestens in der Gewalt hatte. Sie bereute es bereits, da war ich mir sicher. Zwei zu eins.
Als sich der Wald öffnete und ich aus der Windrichtung entnehmen konnte, dass ich im Annaleu stand, war elf Uhr sicher längst vorüber.
Ich hörte einen Motor. Ein Auto verließ gerade die Kiesgrube; ich konnte die Lichter den ganzen Hauler Weg entlang sehen bis zum Ortseingang von Tigerfeld. Hatten Jörg und Franziska doch noch nach mir gesucht? Ich glaubte es eigentlich nicht.
Wer war dann in der Nacht in der Kiesgrube bei einem solchen Wetter? Was hatte er dort zu suchen, wo vor zwanzig Jahren die Schuhe meines ermordeten Mädchens gefunden worden waren?
Unsinn! Die Schuhe wurden dort in einem Loch gefunden, aber das war vor zwanzig Jahren. Wer sollte heute, zwanzig Jahre später, ihretwegen um Mitternacht bei Dunkelheit, aufziehendem Sturmwind und Regenschauern in die Kiesgrube fahren? Gerade in einer Nacht, in der zufällig auch ich bei der Kiesgrube war?
Und wenn es denn Fügung war, warum hatte die Fügung sich dann um die paar Sekunden geirrt, die ich früher hätte kommen müssen, um das Nummernschild lesen zu können? Was hatte die Tante Wichtiges gesagt, das ich nicht sogleich begriffen hatte? Franziska hatte es gemerkt und war sofort aufgebrochen. Gerade diese Flucht, mit der sie ihre Position bei der Bestechung oder Erpressung retten wollte, zeigte mir unbedingt, wie wichtig das Wort oder der Satz, der gefallen war, für meine kriminalistischen Fortschritte war.
Franziska war geistesgegenwärtig genug
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