Albspargel
weit über zwanzig Jahren war sie hierher in das leerstehende Haus eines Vetters gezogen.
Eine Einrichtung, wie man sie in Geisingen nicht erwartet hätte. Keine billige Schrankwand in Eiche dunkel. Dafür wenige leichte Polstermöbel, Biedermeier, ein Intarsientischchen; Blick auf einen Sekretär im Nebenraum; an den Wänden Bilder: Grieshaber, zwei, drei Radierungen von Nägele, eine kannte ich, »Die Kurve von Fornsbach«, weitere Bilder, ein Glasschrank mit Porzellan, gescheuerte Fußbodendielen. In der Ecke kauerte auf einem Kissen eine langhaarige Katze und starrte mich an. Saft, Kekse.
Ich musste warten. Franziska und Tante redeten über Verwandte und bezogen Jörg mit ein. Frau Strauß redete kein Älblerisch, sondern eine Art hochdeutsches Stuttgarterisch.
Bei aller Eleganz, die an Anja erinnern konnte, war Frau Strauß herzlicher als meine Ex-Frau, von einer Wärme, die fast ein wenig an Amelie erinnerte, mit der sie ja verwandt war – oder doch nur verschwägert?
Frau Strauß und Franziska ließen sich viel Zeit. Einen Grund konnte ich nicht erkennen. Ging alles von Franziska aus oder hatten beide es so ausgemacht?
»Der Mord vor zwanzig Jahren«, begann Frau Strauß dann mit einer plötzlichen Unsicherheit im Blick. Sie fasste sich aber rasch. »Es stimmt, Franziska, die Polizei weiß nicht alles, keineswegs. Wir haben ihr nicht alles gesagt.« Sie unterbrach sich. »Und woher weißt eigentlich du so viel, Franziska? Du warst ja noch gar nicht geboren oder winzig klein, nicht?«
»Es wurde viel geredet bei den Verwandten in Trochtelfingen, Tante Helene. Meine Mutter und mein Vater stammen ja von da und ich wohnte bis vor einem halben Jahr immer noch dort.« Sie wandte sich an mich: »Ich war natürlich sehr neugierig und fragte und fragte. Als ich dreizehn war, habe ich mit meiner Freundin Elisabeth sogar Detektiv gespielt, wir wollten den Fall aufklären und haben gesammelt, was wir erfahren konnten. Aber viel war das nicht, und so haben wir auch nicht viel herausgefunden, nämlich gar nichts.«
Sie redete jetzt offen und frei und war ein Mädchen mit dunkel leuchtenden Augen, das eine Locke um den Finger wickelte, freimütig ohne jede Raffinesse oder Berechnung, wie ein Mädchen nur sein kann, anmutig und zum Verlieben hübsch. Ich hätte Dr. Hagenbach mit seiner leuchtenden Brille und seinen roten Backen hier haben wollen, damit er diese atemberaubende Verwandlung hätte sehen können.
Jörg legte den Arm um sie und machte ein stolzes Gesicht.
»Du musst Tante Helene fragen in Geisingen, wurde immer gesagt, wenn ich nicht weiterkam. Die weiß mehr als wir alle zusammen.«
»Warum haben Sie nie etwas davon der Polizei gemeldet, Mord verjährt nicht.« Meine Stimme wurde heiser. »So musste ich das Opfer sein, Frau Strauß, Sie mussten das wissen, Sie alle mussten das wissen. Jeder zwischen Gammertingen und Münsingen wusste das.«
»Man rennt nicht einfach zur Polizei«, erwiderte die Tante leise und, wie ich fand, rücksichtslos und blickte hinüber zu Franziska, »man rennt vor allem dann nicht, wenn man Menschen belastet, die man nicht belasten will. Das können Sie sich doch denken.«
Der Schluss kam sehr selbstbewusst. Sie wandte sich zu mir. Ihr Gesicht gewann an Leben. Zweifellos war sie eine außerordentlich schöne Frau gewesen, in gewisser Weise war sie es immer noch.
»Eben«, bestätigte Franziska.
Das Mädchen wusste genau, dass sie mich ab jetzt in der Falle hatte. Denn ich würde jedes Gutachten unterschreiben, um an diese Informationen zu kommen, von denen soeben geredet wurde. Ich war mit Haut und Haaren zum Detektiv geworden und begann in meinem Innern Amelie zu schwören, dass ich ihren Mörder finden und der Bestrafung zuführen würde – kurz, ich war zu einem Jungen von sechzehn Jahren geworden.
»Und nun soll ich reden, weil mir ein paar Detektivspieler ins Haus fallen, gerade in dem Augenblick, in dem im Fernsehen der Tatort beginnt?« Helene Strauß hatte sich völlig gefasst und lächelte.
»Ja, bitte, Tante Helene.«
»Lass es mich zusammenbringen. Die Tote wurde gefunden im Hart, auf dem Acker von« – Frau Strauß sah mich seltsam an – »auf dem Acker von – von Ihrem Onkel.«
Es hatte die Verdächtigungen und Gerüchte verschärft.
»Ich vermute, und alle in der Familie denken dasselbe, nämlich dass dies kein Zufall war.«
»Ich weiß«, sagte ich müde und enttäuscht, »ich muss mit diesem Gerede leben, schon seit zwanzig Jahren.« Die Spannung
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