Albspargel
Neues. Von den Schuhen in der Kiesgrube war an Ort und Stelle die Rede. Und so toll ist das nicht. Was soll ich damit! Es ist zwanzig Jahre her.«
Er schaute hoch. Er schien zwar schmächtig und war klein, bestimmt kein stattlicher junger Mann, kein Held wie aus dem Buch. Dennoch verrieten seine Bewegungen seine Kraft. Wie leicht er das schwere Hebegerät aus der Grube gestemmt hatte!
»Ja, was denn nun? Meint Franziska, dass ich noch einmal mit ihr zu ihrer Tante Helene oder Gerda, oder was auch immer, gehe? Ihr könnt mich dann ja wieder stehen lassen.«
»Bestimmt nicht.«
»Was bestimmt nicht? Dass wir noch einmal hingehen? Oder dass ihr mich noch einmal im Regen stehen lasst?«
»Ich weiß nicht, ob wir noch einmal hinmüssen. Aber Franziska hat gesagt, dass die Tante ein Waschweib ist.«
Also doch. Ich nickte zufrieden.
»›Das ist das Alter‹, hat sie gesagt, und dass sie Dinge sagt, die sie nicht sagen soll. Dass es anders ausgemacht war.«
Ausgemacht!
»Ich habe nichts gemerkt davon. Was soll das gewesen sein?« Ich spürte mein Herz klopfen.
Er schwieg
»Das Windrad wird gebaut oder nicht. Die Hochzeit findet statt oder nicht.«
Das war hart und gemein.
»Sie muss es doch gesagt haben.«
»Was?«
»Franziska hat gesagt, dass Tante Helene es gesagt hat, mehr weiß ich nicht.«
Da waren wir nun keinen Millimeter weitergekommen. Wusste er wirklich nicht, worum es ging?
»Ich rede mit Franziska. Sie wird es Ihnen dann sicher sagen. Sicher weiß sie gar nicht, dass –« Er konnte es nicht recht ausdrücken.
»Das wäre mir sehr recht.«
Ein winziges Stückchen weiter waren wir doch. Ich hatte die Gewissheit, dass die so wichtige Information bereits gegeben war, und Franziska erfuhr, dass für sie nichts verloren war.
Ich bohrte weiter und sagte freundlicher: »Immerhin habt ihr ja noch nach mir gesucht in der alten Kiesgrube.«
Er war überrascht. »Wir haben Sie nicht gesucht, leider.«
»Nicht? Ich habe doch aber euer Auto gesehen.«
»Nein. Warten Sie: War das so um elf? Ja, da habe ich auch ein Auto gesehen, das vom Hauler Weg in den Ort hereingefahren ist. Ich hatte gedacht, dass Ihr Kollege Sie abholt und Sie beide noch einmal in der Kiesgrube waren.«
»Hast du das gewusst mit den Schuhen in der Kiesgrube?«
»Franziska hat irgendwann einmal davon geredet.«
Er hatte in der Kiesgrube gelogen: Er wisse von keinen Schuhen.
»In welchem Zusammenhang?«
Er blickte mich an mit gerunzelten Brauen. Ich merkte, dass er sich sehr anstrengte und es mir unbedingt recht machen wollte.
»Wie seid ihr darauf zu sprechen gekommen?«
»Wir haben über den Mord von damals geredet. Ich habe von ihr erfahren, dass diese Amelie ihre Tante zweiten Grades war. Und da hat sie das mit den Schuhen gesagt.«
»Hat sie noch mehr gesagt?«
Er sah mir wieder lange ins Gesicht. »Nein, ich glaube nicht.«
»Wird im Ort immer noch geredet von dem Mord im Hart?«
»Heute nicht mehr so viel, eigentlich fast gar nicht. Früher, als ich noch ein Kind war, hast du fast nichts anderes gehört. Da war es die Sensation. Jetzt gibt es ja einen neuen Mord.«
»Ja, jetzt gibt es wieder eine neue Sensation.«
Er kratzte mit den Schuhen auf dem Beton. »Der Wenger will bis zum Mittag seinen Traktor haben.«
Die Ergebnisse waren dürftig. Aber immerhin war das Ganze nicht sinnlos gewesen. Drei Dinge wusste ich jetzt, oder besser, wussten wir jetzt. Denn ich würde alles mit Dr. Hagenbach bereden. Da war zum Ersten die Gewissheit, dass die Tante uns wirklich etwas Wichtiges verraten hatte, zum Zweiten, dass Franziska der Zeitpunkt für die Herausgabe von Informationen so wichtig war, dass sie mich vor lauter Wut hatte stehen lassen. Und das Dritte: Sie hatten nicht mehr nach mir gesucht – der Zorn oder die Absicht, vorläufig nicht mehr mit mir zu reden, hatten angehalten. Es waren Fremde gewesen, deren Schlusslichter ich auf dem Hauler Weg von der Kiesgrube bis Tigerfeld gesehen hatte.
Zufall.
Sollte ich Hauptkommissar Hohwachter die Neuigkeiten erzählen? Auch das Wenige, was wir von Franziska und ihrer Tante erfahren hatten? Die Sache mit den Schuhen war wohl nicht mehr wichtig. Die Spuren waren längst zerstört.
Die Tatsache, dass Tante Helene mir zwar etwas Wichtiges gesagt hatte, nützte nichts, denn sie hatte es offenbar so gesagt, dass ich es nicht bemerkt hatte. Dass Tante Helene überhaupt etwas wissen konnte, wäre vielleicht für den Kommissar schon wichtig. Aber was sollte ich der alten Dame
Weitere Kostenlose Bücher