Albspargel
tatsächlich an der alten Stelle fanden. Ich wäre lieber zu Fuß gegangen, aber mein Kollege wollte fahren.
»Wer weiß, ob wir das Auto nicht brauchen.«
Dr. Hagenbach war wohl schon mitten in einer Verbrecherjagd. Welche Erstellung eines Windströmungsgutachtens bot jemals so einmalige Möglichkeiten? Ich tat ihm unrecht: Genau genommen, waren es ja meine Bedürfnisse, die sich hinter dem kriminalistischen Ehrgeiz Hagenbachs verschanzten.
Das letzte Licht des Abends, der Friede auf den herbstlichen Fluren.
»Warum haben die keine Mädchen dabei?«, fragte Dr. Hagenbach.
»Sicher ist das nicht. Es sind eben anständige Jungen, die lassen keine Kondome liegen.«
Er sah mich von der Seite an.
»Vielleicht sind sie vom anderen Ufer.« Ich sprach mit normaler Stimme: Die Kiesgrube war fast einen Kilometer weg.
Aus dem Hasental stieg wieder dieser flache Nebel, der sich über die Äcker der Umgebung, das Annaleu und die Altsbreite zog. Hochdruckwetter!
Als Meteorologe, wenn auch nicht vom Wetterdienst, hätte ich weiter blicken müssen. Auch Dr. Hagenbach. Wenn es das Schicksal wollte, würden wir auf unserem Hochsitz hocken und nichts weiter sehen als einen See aus Nebel und dahinter die Höhe des Ganswinkels.
Im Ort ging ein Licht nach dem anderen an. Alles war wunderbar ruhig, nicht einmal das Rauschen der wenigen Autos auf der B 312 drang herüber; durch die zunehmende Finsternis glitten wie im Stummfilm nur ihre Lichter.
Die dichte Schicht aus Dunst waberte hinaus und überdeckte einen Teil des Hauler Wegs, ließ aber das Kreuz meines Onkels herausblicken, das langsam von der Dunkelheit verschluckt wurde. Auch der Ganswinkel erhob sich noch aus der Schwärze der Äcker und Wälder ringsum. Ich stellte mir über dem See aus Nebel das Windrad vor: Ein Kreuz, sechsmal mächtiger als der Christus von Rio. Ein Phantom, höher als das Ulmer Münster und breiter als der Kölner Dom. Ich hielt den Atem an.
Der dunkle Block der Kiesgrube, die wie auf einem Teller vor uns lag und zunehmend mit den Äckern verschmolz, blieb frei von Dunst. Am Himmel standen nun Sterne. Es war Neumond, die Nacht wäre auch ohne Wolken recht dunkel.
Es wurde empfindlich kalt, und wir froren trotz unserer Mäntel.
»Wenn sich jetzt nicht bald etwas tut«, schnatterte Dr. Hagenbach, »ist es heute nichts mit Exzessen. Vielleicht ist es denen auch zu kalt.«
In diesem Augenblick erschienen am Ortsausgang zum Hauler Weg die Lichter eines Autos und bewegten sich in Richtung Annaleu.
»Sie sind es«, sagte Dr. Hagenbach aufgeregt.
Wir verfolgten das Licht der Scheinwerfer, das zwar immer wieder von Nebelschwaden gedämpft wurde, aber gut sichtbar blieb.
Was nun? Wir mussten näher heran. Auch mich befiel nun ein Jagdfieber, das mir peinlich war. Was wollten wir eigentlich?
»Das werden wir schon sehen, wenn wir näher dran sind.«
Wir stiegen vom Sitz, von der Kiesgrube her waren jetzt durch die Stille des Abends das Wummern und die Bässe eines Recorders zu hören. Auf meinen Vorschlag umgingen wir das Annaleu und schlugen einen großen Bogen durch den Wald im Geisinger Hart, so dass wir an derselben Stelle aus dem Wald traten wie ich, als ich bei Nacht und Regen von Tante Helene aus Geisingen zurückgekehrt war.
Dr. Hagenbach hatte auf dem Weg nur geflüstert. Jetzt war seine Haltung gebückt wie bei einem Indianer auf Kriegspfad. Eigentlich konnten wir uns aber ganz sorglos nähern. Der Recorder war auf höchste Lautstärke gestellt und hallte in die Nacht hinaus, dass man hätte meinen können, er sei bis Tigerfeld zu hören. Das stimmte aber offenbar nicht, sonst hätte man von den Exzessen im Ort gewusst und wir hätten davon erfahren.
Ich hatte genug von Indianerspiel und Schleicherei. Aufrecht ging ich mit ausholenden Schritten in die Kiesgrube hinein. Mein Kollege ging jetzt ebenfalls aufrecht neben mir: Das Indianerspiel schien beendet.
»Was werden wir tun?«
Auch das Flüstern hatte nun ein Ende. Wahrscheinlich war ihm die Kinderei nun so peinlich wie mir.
»Die Autonummer der beiden ermitteln. Was sonst?«
»Gut.«
Eine Heerschar Polizisten hätte durch die Kiesgrube trampeln können, die Jungen, um die es ging, hätten nichts bemerkt – ihre Musik dröhnte. Sie waren in ihrer Welt. Sie hatten nichts zu verbergen. Wahrscheinlich waren sie schon völlig zugedröhnt, und wir hätten uns, ohne dass sie es gemerkt hätten, zu ihnen an das Feuerchen setzen können, das wir nun durch Holunder- und Vogelbeerbüsche
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