Albtraum
zerstören. Der Mensch machte stets viel Lärm um seine Errungenschaften. Tatsache war jedoch, dass seine Geschichte auf Krieg, Zerstörung und Tod basierte. Ausgerechnet so etwas hatte er im Laufe seiner Zivilisation perfektioniert.
Atomkraft? John schüttelte den Kopf. Was für ein Witz. Diese Steine enthielten mehr Kraft als das ganze Waffenarsenal der Staaten. Wenn der Mensch es irgendwann geschafft hatte, sich selbst in die Luft zu sprengen, würde es die Wildnis immer noch geben. In irgendeiner Form würde sie jedenfalls weiterleben.
John hielt das Fernglas an die Augen und stellte es auf die einsame Gestalt ein, die fischend am Flussufer stand. Er sah, wieder Mann die Angel hin und her schwang, wie die Leine schwamm, in der Luft tanzte und sich weit in den Fluss hinein abspulte, die Bewegung reine Poesie.
John lächelte vor sich hin. Clark Russell, ehemaliger Waffenbruder.Es war schwer gewesen, ihn allein zu erwischen. Doch Russell hatte wie alle Männer einen schwachen Punkt, an dem er alle Sicherheitsvorkehrungen sausen ließ, um nach seinen Wünschen zu leben. Für einige waren das Frauen, für andere Trinken oder Spielen. Für Clark Russell aber war es das Fischen.
John hatte nie verstanden, was Menschen so am Angeln faszinierte. Welche Genugtuung konnte es einem verschaffen, ein Wesen am Maul aus dem Wasser zu ziehen? Er verstand die Freude an Ruhe und Einsamkeit, am Einssein mit der Natur, sogar am wiederholten Werfen der Angel. Doch das andere erschien ihm unnötig grausam und barbarisch zu sein. Aus Sport zu jagen verstand er genauso wenig.
Er war auch ein Jäger, aber er jagte Menschen. Das ergab Sinn. Das schloss den Kreis, hielt Ordnung im Universum. Tiere lebten nach ihren Instinkten, nicht nach ihrem Willen. Sie töteten, um zu leben. Menschen töteten zum Vergnügen oder aus Arroganz. Sie zerstörten aus Spaß.
Von allen Kreaturen auf Erden besaß einzig der Mensch die unsägliche Fähigkeit, Böses zu tun, physische und psychische Schmerzen zuzufügen. Theologen nannten diese Fähigkeit Sünde. Für John war sie die dunkle Seite der Seele.
Der Wind fegte durch Mammutbäume und Pinien, dass die Stämme knarrten. John schloss die Augen und nahm die Geräusche in sich auf. Er glaubte an eine Seele, wenn auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Er glaubte an die Macht der Schöpfung, jedoch nicht an Gott; an das Böse, jedoch nicht an den Teufel.
Er öffnete die Augen wieder. Clark hatte einen Fisch gefangen. Der wehrte sich heftig dagegen, aus dem Wasser gezogen zu werden. Das Sonnenlicht brach sich auf seinensilbrigen Schuppen und erzeugte einen kleinen funkelnden Lichtblitz.
Perfektes und strahlendes Licht, rein wie meine Julianna.
John ballte die Hände. Juliannas Seele hatte keine dunkle Seite gehabt. Sie war rein und ohne Sünde gewesen, ein klares strahlendes Licht. Vor seinem geistigen Auge sah er sie bei ihrer ersten Begegnung, wie sie mit gesenktem Blick vor ihrer Mutter stand. Ihre langen Locken waren mit Teddyspangen zurückgehalten gewesen. Dieselben Teddys prangten auf ihrer Jacke. Dann hatte sie den Kopf gehoben und ihn angelächelt. Reinheit und Unschuld hatten aus ihr geleuchtet wie die Sonne.
Ihre Reinheit hatte ihn entzückt. Ihre Unschuld war Nahrung für seine Seele gewesen. Beides hatte etwas tief in ihm berührt, das schon verkümmert gewesen war, etwas, das nur noch auf die Erhabenheit der Natur ansprach.
Für ihn war sie ein vom Himmel gesandter Engel. Vom ersten Moment an hatte er sie geliebt, und nur sie.
Er hatte sie vor den schädigenden Einflüssen anderer zu schützen versucht, vor einer hässlichen Welt, die verrückt geworden war und sie verderben würde wie die Made eine Frucht. Er hatte sie behütet und das helle innere Licht bewahrt. Auch er hatte einmal dieses helle Licht in sich getragen. Doch es war erstickt, als seine dunkle Seite kultiviert wurde. Für Julianna hatte er sich etwas anderes gewünscht.
Ihre Mutter hingegen hatte es für richtig gehalten, ihre Seele zu verdunkeln. Sie hatte Julianna abgeschreckt, sie mit Dingen konfrontiert, von denen sie keine Ahnung gehabt hatte. Eiskalte Wut stieg in ihm auf.
Juliannas Mutter und Clark Russell waren die Zerstörer ihrer reinen Seele.
John nahm das Fernglas wieder an die Augen und betrachtete beide Flussufer und den Wald dahinter, um sicher zu gehen, dass sie allein waren.
Es war noch nicht zu spät für Julianna. Er wusste es. Er musste sie nur finden.
Doch zuerst zahlte Clark Russell für sein
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