Alcatraz und die dunkle Bibliothek
wollten.«
Sing zuckte mit den Schultern. »Weißt du, Alcatraz, Grandpa Smedry hat uns hin und wieder von dir erzählt, auch von den … Unfällen, die in deiner Umgebung passiert sind. Er hatte die Vermutung, dass es mit deinem Talent zusammenhängen könnte, und jetzt hat sich herausgestellt, dass er recht hatte. Es war also gar nicht deine Schuld!«
Warum hast du die Küche deiner Pflegeeltern angezündet?, hatte Grandpa Smedry mich gefragt. Es scheint eine Perversion deines Talents zu sein …
»Doch, es war meine Schuld, Sing. Ich habe nicht irgendwelche durchschnittlichen Sachen kaputt gemacht. Ich habe die Dinge kaputt gemacht, die den Leuten, denen ich wichtig war, am meisten bedeutet haben. Ich habe dafür gesorgt, dass sie mich hassen. Und zwar mit voller Absicht.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Sing. »Nein, so etwas würde ein Smedry nicht tun.«
»In jeder Familie gibt es ein schwarzes Schaf, Sing. Ich bin ein … kaputter Smedry. Vielleicht hat der Dunkle Okulator mich deswegen nicht sofort getötet. Vielleicht weiß er, dass ich nicht so nobel bin wie der Rest von euch. Vielleicht weiß er, dass bei mir die Chance besteht, mich auf seine Seite zu ziehen. Und vielleicht passe ich tatsächlich besser dorthin.«
Das brachte Sing zum Schweigen. Ich erwartete jeden Moment, Entsetzen und Enttäuschung in seinem Blick zu lesen.
Doch dann legte Sing mir eine Hand auf die Schulter und meinte: »Du bist und bleibst mein Cousin. Selbst wenn du einige schlimme Dinge angestellt hast, macht dich das noch nicht zu einem Dunklen Okulator. Was auch immer du getan hast, du kannst es wiedergutmachen. Du kannst dich ändern.«
Als wenn das so einfach wäre, dachte ich. Wird Sing auch noch so großmütig sein, wenn ich aus Versehen etwas kaputt mache, das ihm wichtig ist? Zum Beispiel seine Bücher? Was wird Sing tun, wenn alles, was ihm etwas bedeutet, zerbrochen und verunstaltet ist, ein Haufen Schrott, der sich zu Füßen einer Katastrophe namens Alcatraz Smedry auftürmt?
Sing lächelte mich aufbauend an und nahm die Hand von meiner Schulter, da er offenbar der Meinung war, das Problem sei gelöst. Aber für mich war es das nicht. Ich setzte mich auf den Boden und schlang die Arme um die Knie. Was ist in letzter Zeit nur los mit mir? Sing scheint fest entschlossen zu sein, mich zu mögen. Warum ist es mir dann so wichtig, ihm klarzumachen, was ich getan habe?
Ich wandte mich von Sing ab und musste, warum auch immer, an einige Episoden aus der Vergangenheit denken.
Es fällt mir schwer, mich an die ersten Dinge zu erinnern, die ich kaputt gemacht habe. Aber sie waren wertvoll gewesen – so viel weiß ich noch. Teure Kristallfiguren, die meine erste Pflegemutter gesammelt hatte. Es hatte fast so ausgesehen, als hätte ich nicht einmal an ihrem Zimmer vorbeigehen können, ohne dass eine von ihnen sich in Scherben aufgelöst hätte.
Aber das war noch nicht alles gewesen. Egal, wo sie mich eingesperrt hatten, ich war aus jedem Raum ausgebrochen, ohne mich auch nur ein bisschen anstrengen zu müssen. Was auch immer sie gekauft oder mit nach Hause gebracht hatten, der neugierige kleine Alcatraz musste es gründlich unter die Lupe nehmen und untersuchen.
Und kaputt machen.
Also hatten sie mich abgeschoben. Sie waren nicht hartherzig oder grausam gewesen – ich war einfach zu viel für sie gewesen. Einige Monate später hatte ich sie einmal auf der Straße gesehen. Sie hatten ein kleines Mädchen dabeigehabt. Den Ersatz für mich. Ein Mädchen, das nicht alles kaputt machte, was ihr in die Finger kam, ein Mädchen, das besser in die Vorstellung passte, die sie sich von ihrem Leben gemacht hatten.
Zitternd lehnte ich mich gegen die gläsernen Gitterstäbe meines Gefängnisses. Manchmal gab ich mir wirklich Mühe, nichts kaputt zu machen – ich versuchte es mit aller Kraft. Aber dann schien sich das Talent in mir zu einer großen Welle aufzustauen. Und wenn es sich schließlich einen Weg nach draußen bahnte, war es nur noch mächtiger.
Eine Träne löste sich und rann meine Wange hinunter. Nachdem ich oft genug von einer Familie zur anderen gezogen war, hatte ich erkannt, dass sie mich letztendlich alle im Stich lassen würden. Von da an hatte ich mir keine Gedanken mehr darüber gemacht, was ich beschädigte. Eigentlich … hatte ich angefangen, noch öfter etwas kaputt zu machen – und hauptsächlich wichtige Dinge. Die teuren Prunkstücke eines Vaters, der Autos sammelte. Die Pokale eines Vaters,
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