Alcatraz und die dunkle Bibliothek
nicht wahr?«, fragte er, noch immer lächelnd, während er sein Monokel abnahm, es polierte und dann in seiner Tasche verschwinden ließ.
»Du würdest ihn gegen Reichtum eintauschen, genau wie du es mit dem Sand getan hast. Manchmal beeindruckst du sogar mich, Fletcher.«
Ms. Fletcher beschränkte sich auf ein erneutes Schulterzucken.
Blackburn klemmte sich ein anderes Monokel ins Auge.
Halt, dachte ich, was übersehe ich hier?
Und dann wurde es mir klar: Auf dem Boden der Halle glühten Ms. Fletchers Fußspuren, ebenso wie Blackburns. Ich trug immer noch die Fährtenspürlinsen. Mit einem leisen Fluch setzte ich sie ab und holte stattdessen die Okulatorenlinsen hervor.
Eine leuchtende schwarze Wolke waberte um Blackburns Gestalt. Er sprühte nur so vor Macht und war von einer Aura umgeben, die derart intensiv war, dass ich gegen die schreckliche strahlende Dunkelheit anblinzeln musste.
Wenn Blackburns Aura so hell leuchtete … was umgab dann wohl mich?
Mit einem feinen Lächeln drehte Blackburn sich um die eigene Achse, bis er genau auf die Stelle starrte, wo ich mich mit den anderen versteckt hielt. Dann blitzte sein Monokel auf, als sich in einem mächtigen Stoß die darin gebündelte Energie entlud.
Ich verlor auf der Stelle das Bewusstsein.
KAPITEL ELF
Ihr denkt jetzt wahrscheinlich, ihr wüsstet, was als Nächstes kommt: ich auf dem Altar, kurz vor der Opferung.
Damit liegt ihr leider falsch. Diesen Punkt hat die Geschichte noch nicht erreicht.
Diese Enthüllung ärgert euch wahrscheinlich. Vielleicht seid ihr jetzt sogar richtig enttäuscht. Falls ja, habe ich mein Ziel erreicht. Bevor ihr jetzt allerdings wutentbrannt das Buch an die Wand schmeißt, solltet ihr noch etwas wissen über die Kunst des Geschichtenerzählens.
Einige Leute sind der Meinung, wir Autoren schreiben Bücher, weil wir eine unglaublich lebendige Fantasie haben und unsere Visionen mit anderen teilen wollen. Andere gehen davon aus, dass Autoren schreiben, weil wir all diese Geschichten in uns tragen und sie in Schüben kreativer Proponditität aufschreiben müssen, weil wir sonst platzen würden. Beide Theorien sind vollkommen falsch. Autoren schreiben nur aus einem einzigen Grund Bücher: Wir lieben es, andere zu foltern.
Natürlich wird die Folter im herkömmlichen Sinne in der zivilisierten Gesellschaft von heute aufs Schärfste verurteilt. Doch glücklicherweise hat die Gemeinschaft der Autoren durch das Geschichtenerzählen ein sogar noch mächtigeres – und befriedigenderes – Werkzeug gefunden, um anderen Schmerzen zuzufügen. Wir schreiben Geschichten und bedienen uns damit einer vollkommen legalen Methode, mit der wir unseren Lesern alle nur erdenklichen grauenhaften und sadistischen Dinge antun können.
Nehmt zum Beispiel das Wort, das ich soeben gebraucht habe, Proponditität. Dieses Wort gibt es nicht – ich habe es mir ausgedacht. Warum? Weil ich es lustig finde, mir vorzustellen, wie Tausende von Lesern in ihren Lexika nach einem Wort suchen, das absolut keinen Sinn ergibt.
Autoren erschaffen auch liebenswerte, sympathische Charaktere – nur um ihnen dann die schrecklichsten Dinge anzutun (wie etwa, sie von Bibliothekaren in unansehnliche Kerker werfen zu lassen). Dadurch leiden die Leser und machen sich Sorgen um die Charaktere. Die nüchterne Wahrheit ist einfach, dass Autoren es mögen, wenn andere sich unwohl fühlen. Wäre das nicht so, würden alle Romane dieser Welt nur von niedlichen kleinen Häschen handeln, die ständig Geburtstag feiern.
Jetzt kennt ihr also den Grund, warum ich – einer der reichsten und berühmtesten Männer der Freien Königreiche – mich dazu hergebe, ein Buch zu schreiben. Das ist der einzige Weg, wie ich euch allen beweisen kann, dass ich nicht der heldenhafte Retter bin, für den ihr mich haltet. Wenn ihr mir nicht glaubt, dann stellt euch doch mal folgende Frage: Würde ein anständiger, mitfühlender Mensch Schriftsteller werden? Natürlich nicht.
Ich weiß, wie diese Geschichte ausgeht. Ich weiß, was wirklich mit meinen Eltern passiert ist. Ich weiß, welche Mächte sich hinter dem Sand von Rashid verbergen. Ich weiß, wie es dazu kam, dass ich schließlich über einem Abgrund voll brodelnder, ätzender Lava hing, an einen brennenden Altar gefesselt, und nichts mehr sah außer meinem eigenen angstverzerrten Gesicht, das sich in dem gebogenen, rissigen Dolch eines bibliothekarischen Henkers spiegelte.
Aber ich bin kein guter Mensch. Und deshalb
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