Alchemie der Unsterblichkeit
Verletzung von Chaelas Bruder zu sehen war. »Und ich brenne vor Hass.« Ihre Augen verdunkelten sich. »Ich werde Euer Leben nehmen, um meine Schwester zu rächen.«
Icherios wusste, dass jeder Versuch einer Rechtfertigung sinnlos war. Er konnte ihr ihren Hass nicht verübeln. Trotzdem war er nicht bereit, kampflos unterzugehen. Er musste sie so lange aufhalten, bis er sie mit dem Rest des Arsens betäuben konnte. Mit aller Kraft stieß er sie von sich und wollte an ihr vorbei zu seiner Tasche rennen. Doch sie war schneller und erwischte ihn am Bein, sodass er krachend zu Boden stürzte. Er versuchte, ihr auszuweichen, aber sie warf sich sofort auf ihn. Am vorherigen Abend hätte er es noch als verführerisch empfunden, ihre weichen Brüste gegen seinen Körper gepresst zu spüren. Jetzt vertrieb die Mordlust in ihren Augen alle erotischen Gedanken. Das Vampirdasein hatte ihr unmenschliche Kräfte verliehen. Ihre Hände fesselten seine Arme, während ihr Leib seinen Körper niederdrückte. Ihr Kopf näherte sich seinem Hals, sie zögerte kurz und wählte die andere Seite, die nicht bereits von einer Bisswunde befleckt war. Er fühlte, wie sich ihre Lippen an seiner Haut festsaugten. Dann folgte der Schmerz, als ihre Zähne in ihn eindrangen und ihre Zunge das herausfließende Blut aufleckte. Icherios spürte die lähmende Wirkung des Vampirgiftes. Gleichgültigkeit überkam ihn. In Karlsruhe war sein Weltbild so klar gewesen. Wissenschaft, Analyse – alles war sachlich zu erklären. Nun starb er unter den Händen eines neugeborenen Vampirs.
Doch dieses Mal war es anders. Sobald das Ziehen in seinem Rachen einsetzte, begann etwas in seinem Kopf zu vibrieren. Energie breitete sich in seinem Körper aus, und seine Kraft kehrte zurück. Er sammelte sich, dann zog er ruckartig seine Knie an und stieß Loretta von sich, sodass sie durch den Raum geschleudert wurde. Hastig sprang Icherios auf und schwankte in sein Schlafzimmer. Er schloss die Tür. Dann rannte er zum Waschtisch. Er hörte, wie sich die Tür hinter seinem Rücken öffnete. Loretta schlenderte hinein. Beim Anblick des Wasserkruges fauchte sie und durchquerte den Raum mit einem einzigen Satz. Doch Icherios war schneller und goss ihr den Inhalt über den Kopf. In panischem Entsetzen erstarrte sie. Das Wasser verwandelte sich in eine zähflüssige Masse, die sie wie ein lebendiges Wesen umschlang. Icherios wusste, dass ihm nur wenige Sekunden blieben. Er stürmte mit letzter Kraft zurück in das andere Zimmer. Auf dem Tisch mit seinem Versuchsaufbau befanden sich seine Pulver und Tinkturen. Hastig stellte er den Krug ab, packte das Arsen und versuchte, mit zitternden Fingern den Verschluss zu öffnen. Ein derber Fluch kam über seine Lippen, als ihm das Fläschchen beinahe aus den Händen glitt. Endlich gab das widerspenstige Ding nach, sodass er seinen Inhalt in das Gefäß schütten konnte. Das Gift löste sich in der restlichen Flüssigkeit. Icherios hörte Loretta im Nebenzimmer stöhnen. Gleich würde der Bann gebrochen sein. Er bückte sich, holte aus seiner Tasche eine Spritze hervor und zog die Mischung auf. Dann rannte er zu Loretta zurück. Bevor sie sich regen konnte, rammte er ihr die Nadel in den Arm und injizierte ihr das Gift. Er hoffte, dass es reichen würde. Lorettas Augen weiteten sich, dann sank sie zu Boden und blickte starr an die Decke. Icherios betete, dass er sie nicht endgültig getötet hatte. Zitternd kauerte er sich neben sie, dann übermannte ihn die Ohnmacht.
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Schattengänger
G
Er spürte, wie er sich veränderte – innerlich und äußerlich. Seine Augen vermochten in der Nacht fast ebenso gut zu sehen wie am Tag. Sein Geruchssinn hatte sich geschärft, und die Härchen auf seiner Haut warnten ihn vor Bewegungen in seiner Umgebung. Er hatte gelernt, mit den Schatten zu reden und sich in ihrer dunklen Umarmung zu verbergen. Die größte Veränderung ging jedoch in seinem Inneren vor. Hatte er zuvor Gefallen am Töten gefunden, so berauschten ihn nun die Qualen und Todesschreie seiner Opfer.
Die Nacht breitete ihren Schleier über Dornfelde. Zeit zu töten! Er eilte von Schatten zu Schatten. Niemand im Ort bemerkte sein Kommen oder Gehen. Er liebte es, aus dem Dunkeln heraus ahnungslosen Menschen hinterherzuschleichen und in ihrem Rücken zu verharren, ohne dass sie seine Gegenwart spürten. Dann zückte er seine Klinge und stellte sich vor, wie er ihnen das Rückgrat aufschlitzte. Fürs Erste beschränkte er sich darauf,
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