Alchemie der Unsterblichkeit
Vorschein kam. In dieser standen ebenfalls Bücher mit dicken staubigen Einbänden. Sie waren offensichtlich sehr alt. »Das sind unsere geheimsten und wertvollsten Werke. Sie dürfen die Bibliothek nicht verlassen. Und über ihre Existenz darf kein Wort nach Außen dringen.« Sohon runzelte die Stirn. »Ich brauche Ihnen hoffentlich nicht zu verdeutlichen, was eine Nichtbefolgung für Konsequenzen für Sie hätte?«
Geistesabwesend schüttelte Icherios den Kopf. Er nahm Sohons Worte nur noch am Rande wahr. Zu fasziniert war er von den Büchern. Sie waren aus den verschiedensten Jahrhunderten zusammengetragen worden. Manche galten als verschollen, andere waren sehr selten. Er fand zahlreiche alchemistische Bücher und medizinische Werke sowie das Daemonolatria des Remigius, Junzt’ Unaussprechliche Kulte und das Buch vom Summen . Selbst unbekannte Schriften von Galileo Galilei und Leonardo da Vinci reihten sich in diesen Schatz ein. Dann glitten seine Finger über den Rücken eines dicken, ledergebundenen Wälzers. Er schnappte nach Luft. »Das ist das Monstrorum Noctis ! Aber es ist von nahezu doppeltem Umfang wie das mir bekannte.«
Sohon zog den Band vorsichtig heraus. Auf dem Deckel war ein Hexagramm eingeprägt und ein lederner Gurt verschloss das Buch. »Das ist das Original. Es gibt nur noch wenige Kopien. Wir hielten es für sinnvoller, das Wissen aus einigen Büchern der Menschheit nicht vollständig zu offenbaren. Die Rosenkreuzer und vor allem der Ordo Occulto besitzen vermutlich ein weiteres vollständiges Exemplar.«
Icherios fühlte sich, als wenn sich ihm eine neue Welt auftat.
Sohon beobachtete amüsiert, wie sich in Icherios’ Gesicht Erstaunen und Dankbarkeit abwechselten. »Lesen Sie den Abschnitt über Vampire und Werwölfe zuerst. Ich muss mich nun um Verwaltungsangelegenheiten kümmern.« Der Fürst verbeugte sich elegant und verließ die Bibliothek.
Icherios blickte ihm eine Weile sinnend hinterher. Einerseits war Sohon so freundlich und hilfsbereit, andererseits verlief keine ihrer Begegnungen, ohne dass er ihm drohte. Dann nahm er das Monstrorum Noctis mit an den Kamin, kuschelte sich dort in einen Sessel und vergaß die Welt um sich herum.
Bald schon erfuhr er Unglaubliches. Die Schrift war alt und die Formulierungen umständlich. Trotzdem gelang es Icherios, den Inhalt zu entziffern. Offensichtlich waren Vampire und Werwölfe keine Spielerei der Natur oder von Gottes Fluch getroffene Menschen, sondern das Ergebnis von Experimenten. Hermes Trismegistos, der Begründer der Alchemie, hatte sich vor Jahrhunderten im alten Ägypten mit der Alchemie beschäftigt. Heutzutage wurde ihm oft ein gottgleicher Status zugesprochen, und nach Beendigung seiner Lektüre konnte Icherios die Gründe dafür nachvollziehen. Hermes war es in seinen Versuchen gelungen, unsterbliche Wesen zu erschaffen, Vampire. Er erschuf zudem Mischungen aus Mensch und Tier. Die Werwölfe waren die bekanntesten Wesen, aber es gab noch weitere Arten wie Werfüchse oder Werratten. Die Vorstellung, welche Macht der Mörder durch das Lunalion erhalten hatte, ließ Icherios wie erstarrt in sein Zimmer zurückkehren.
In Icherios’ Räumlichkeiten wartete die nächste Überraschung auf ihn. Man hatte die Lampen in den Gängen und seinem Zimmer entzündet. Ein sanft schimmerndes Licht spendete Wärme und Helligkeit. In der Mitte des Raumes stand Loretta, und ihr Lächeln war alles andere als freundlich.
»Loretta«, stammelte er. »Ihr seid doch tot.«
Bedrohlich kam sie auf ihn zu. »Dachtet Ihr.«
Icherios wich nach hinten aus, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Sie war ihm ganz nah und schnupperte an seinem Nacken, als wenn sie ein Stück Fleisch auf seine Frische überprüfte. Jegliche Sanftheit war aus ihren grauen Augen gewichen. »Ich rieche immer noch das Laudanum an Euch. Hat es Euch Spaß gemacht, meine Schwester krepieren zu sehen? Ihr seid ein schlechter Mensch. Ihr habt mich sterben lassen.« Sie fletschte die Zähne in einem Grinsen und entblößte dabei zwei Fangzähne. »Calan hat mich gerettet.«
Deshalb war Sohon so ruhig und freundlich gewesen! , durchfuhr es Icherios. Er hatte bekommen, was er wollte. Loretta war sein. Für immer. Er drehte den Kopf auf der Suche nach einer Waffe. Arsen! Er besaß noch einen kleinen Rest.
»Ich dachte, Vampire wären kalt«, fuhr sie fort. »Dabei brenne ich. Ich brenne vor Durst.« Ihre Zunge strich über seinen Nacken. Genau an der Stelle, an der die
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